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Maike und Ronald Holst: „Anstossende“ Nachkriegsgedanken

Maike und Ronald Holst: „Anstossende“ Nachkriegsgedanken

Vor Blankenese bombardierter Frachter, bei dem man am Heck noch die Plattform für das Flakgeschütz erkennt.

Auch nach der braunen Zeit blieben unsere Briefkästen rot. Postwagen ratterten langsam durch kriegsbedingt ungepflegte Straßen. Statt Benzin trieben Batterien die Hinterräder über eine Kette an. Für Kurzstrecken wurden noch immer Elektrokarren eingesetzt, deren Fahrer vorn STANDEN und die Fahrtrichtung mit Hebeln lenkten. Als Krankenwagen wurden Sankras (Sanitätskraftwagen) der Wehrmacht genutzt, die weiterhin keinen zivilen Anstrich hatten. Und Taxis waren oft Zweitürer, bei denen der rechte Vordersitz zum besseren Einstieg der Fahrgäste ausgebaut war. 

Das Blankeneser Kino war von den britischen Besatzungstruppen bis 1950 beschlagnahmt. Ebenso das Hirschparkhaus wie auch die weiße Villa an der Elbchaussee. Die Godeffroystraße und Ole Hoop war ebenfalls britischen Besatzungstruppen vorbehalten, genau wie  Teile der Kösterbergstrasse. Viele Geschäfte waren gezwungen, die Verkaufsräume mit einer anderen Firma zu teilen. 

Bilder von Alice O’Swald-Ruperti (www.oswald-ruperti.de)

Wegen der großflächigen Zerstörung Hamburgs und der daraus resultierenden Wohnungsnot, den vielen Flüchtlingen und immer mehr entlassenen Kriegsgefangenen wurde die Wohnraumnot nach der Kapitulation noch größer. Schließlich verhängte die britische Besatzungsmacht eine Zuzugssperre, auch für „Butenhamburger“. (Das waren vor Bomben geflüchtete Hamburger!) 

Viele der übrig gebliebenen Autos (egal ob PKW oder LKW) fuhren mit riesengroßen Holzvergaser. Sie mussten mit möglichst trockenem Holz betrieben werden, was zur Folge hatte, dass zum Beispiel Holzzäune auf geheimnisvolle Art verschwanden, um Fahrzeuge anzutreiben. 

Der Schwarze Markt blühte. Dabei mußten die meisten der über 11 Millionen deutschen Kriegsgefangenen weiter in Arbeitslagern des ehemaligen Feindes aushalten. Sagebiels Fährhaus und der Süllberg wurden, samt Weinkeller, vom Tommy beschlagnahmt und wenn den Briten Möbel fehlten, wurden sie kurzerhand aus privaten Haushalten requiriert.

Bilder von Alice O’Swald-Ruperti (www.oswald-ruperti.de)

Wohnungen und provisorische Wohngelegenheiten waren schon bald überbelegt. Lebensmittel, Kleidung, Benzin, Heizmaterial etc. wurden nur auf Marken bzw Bezugsscheinen zugeteilt. Zentralheizungen waren außer Betrieb. Mieter wie Untermieter hatten im positiven Fall eigene Heiz- und Kochmöglichkeit. Deshalb ragten aus vielen Fenstern Ofenrohre. Abends begann Curefew, die Sperrstunde, während der man nicht auf die Straße durfte und obendrein wurde der Strom stundenweise gesperrt. Das war die Zeit der „Kochkisten“, in denen das Mittagessen, nachts gekocht, bis zum nächsten Mittag warm gehalten wurde.

Im Blomkamp in Osdorf  hatte der Suchdienst seine Bürobaracken, denn Millionen suchten ihre Lieben. Und Funktionsträger der NSDAP  und Kriegsverbrecher wurden in Neuengamme oder in Neumünster eingesperrt, nachdem ihnen der Prozess gemacht worden war. 

Wir Bundesbürger von 2025 besitzen – statistisch gesehen – statt 5 qm Wohnraum por Person kurz nach dem Krieg, im Schnitt beinahe 50 qm.
Hinzu kommt bei dem einen oder anderen die Zweitwohnung.  Wohnräume sind zentralgeheizt und aus der Wand kommt in Küche und Bad warmes Wasser.

Alle haben ein Telefon bzw. Handy und sind immer erreichbar. 
Im Urlaub reisen viele in die entferntesten Winkel unserer Erde und die, die zu Haus bleiben, können Balkonien rundum gesättigt genießen, was nach 1945 kaum möglich war.
Wir wissen, wo unsere Lieben sind und können sie in der Regel auch erreichen. Selbst die im fernen Australien.

Eine ganze Reihe von uns hat teure Hobbys, wie beispielsweise reiten, segeln, fliegen, kutschfahren.
Um den Klövensteen stehen so viele Reitpferde, dass sie Nummernschilder tragen müssen.

Wir haben die Fünf-Tage-Woche und reichlich Urlaub. Die Fahrzeugdichte pro Einwohner nimmt weiter zu,  hinzu kommen Fahrrad,  E-Bike und Pedilac.
Das größte Problem ist, abends einen Parkplatz für sein Fahrzeug zu finden.

Wir sorgen uns um Klimaschutz, Frauenrechte, Tierwohl, Landschaftserhalt, Renaturierung, Schutz der Meere, Mülltrennung oder Lärmschutz, um nur einige – sicher berechtigte – Anliegen zu nennen. 

Wir können mit 250 kmh über die Autobahn rasen und jeden Sport treiben, der uns einfällt, sei es Fallschirmspringen, Tiefseetauchen, Drachenfliegen, Bergsteigen auf dem Mount Everest oder ähnliches.  

Dafür gibt es immer mehr Menschen, die sich über Flüchtlinge aufregen,
genau wie nach dem Krieg, als 14 Millionen deutsche Landsleute aus dem Osten in den Besatzungszonen der vier Siegermächte unterkommen mussten!

Maike und Ronald Holst

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