Wertschätzung statt Wertschöpfung
Teilhabe, Selbstbestimmung und individuelle Entwicklung wird in der anthroposophischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e.V. in Sülldorf großgeschrieben. Schon seit über 25 Jahren gibt es diesen „Ort für wertschätzende Begegnungen“, so das Leitbild. Ein Glücksfall für die 40 BewohnerInnen im Alter von 20 bis 60 Jahren, die sich hier aktiv und selbstbestimmt einbringen können.
Es gibt viele wichtige Konstanten im Leben und Arbeiten der Gemeinschaft. Der Morgenkreis, die Versammlungen, das Arbeiten in der Holzwerkstatt, im Garten oder der Küche, das gemeinsame Essen. Aber auch Feiern wie Fasching und auch das beliebte Christgeburtsspiel vor Weihnachten gehören dazu. Doch nach 25 Jahren gibt es seit Anfang 2025 etwas Neues: Der Gründer und Leiter der Einrichtung, Christopher von Bar, wurde in den verdienten Ruhestand verabschiedet. Übernommen hat nun ein Duo: Tatjana Groß für die kaufmännische Geschäftsführung, Felix Krawehl für sozial-therapeutische Leitung. Gemeinsam wollen sie die Belange des Vereins in die Zukunft tragen. Und dabei weiter der anthroposophischen Philosophie Rudolf Steiners folgen: Ein Mensch ist nie defekt oder behindert, sondern eine einzigartige Persönlichkeit. Rund 100 Mitarbeitende, davon jedes Jahr auch 15 FSJler aus aller Welt, sorgen dafür, dass dieser Gedanke umgesetzt wird: Dass die Gemeinschaft wie eine Familie Halt, aber auch Freiraum gibt. Dass sich alle einbringen können, teilhaben können.

die Leitung von Franziskus e.V. vom langjährigen Leiter und Gründer Christopher von Bar (r.) übernommen.
Die Lebens-und Arbeitsgemeinschaft besteht aus vier Wohngruppen, von denen eine ambulant ist: „Dort wohnen Menschen, die nur punktuell Betreuung brauchen, die teilweise auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind“, erklärt Felix Krawehl. In den drei anderen Wohngruppen leben Menschen mit höherem Assistenzbedarf. Und der reicht von fast selbstständig bis zur Rundumversorgung. 28 arbeiten in der hauseigenen Tagesförderstätte, die keine klassische Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist, denn: „Werkstätten leben von den Produkten, die sie herstellen, das müssen wir nicht, wir müssen kein Produktionsziel erreichen.“ Das könnte die Gemeinschaft auch gar nicht. „Viele der hier tätigen Menschen können nur ganz kleine Ziele erreichen, vielleicht auch nur dabei sein. Dazu haben wir inzwischen eine Reihe Senioren, die gar nicht mehr arbeiten, oder nur noch halbtags.“
Auch das bedeutet für Felix Krawehl eine weitere Aufgabe: „Es gibt kaum Angebote für Menschen mit Behinderung im Seniorenalter. Auch für uns als gewachsene Einrichtung ist das eine neue Herausforderung. Wir versuchen, den Weg nun gemeinsam zu gehen, indem wir z.B. Pflegekompetenz ins Haus holen. So versuchen wir unseren anfänglich dementen Älteren, oft schon ab 40 Jahren, gerecht zu werden.“ Themen sind aber auch die Krankenhausbegleitung, falls nötig – oder die gesetzliche Betreuung. All das sind neue Themen im Seniorenbereich, mit denen sich das Team jetzt auseinandersetzt. Am Willen mangelt es nicht, doch all das kostet zusätzliches Geld und benötigt Unterstützung durch rare Fachkräfte. Die zu gewinnen und für die verantwortungsvollen Aufgaben zu begeistern ist ein sehr großer und wichtiger Teil seiner Aufgaben.


Sorge macht ihm der gesellschaftliche Diskurs. Dazu gehört auch, wie in der Behördenpraxis einzelner Länder das Bundesteilhabegesetz verschleppt wird und wie Einrichtungen dadurch in schweres Fahrwasser geraten. „Und doch weiß ich, dass wir in Hamburg noch eine Insel der Glücksseligen sind. Aber man kann schon sagen, dass menschenwürdiges Leben für Menschen mit Behinderungen – wenn sie auf so eine Einrichtung angewiesen sind, nur in Einrichtungen wie unseren möglich ist. Einrichtungen, die versuchen, jeden einzelnen Menschen ganz persönlich im Blick zu behalten und auf ihn – als einzigartige Persönlichkeit – einzugehen“, so Felix Krawehl.
Und so wird er sich weiter für sein Haus engagieren, gemeinsam mit den Mitarbeitenden, den Eltern und allen Unterstützern: „Denn was wir hier haben, ist kein Luxusgut, es geht um gleiche Rechte und Freiheiten – das muss man von allen Dächern rufen!“
Kontakt
Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e.V. | Op’n Hainholt 88, 22589 Hamburg | 040 870 870 16
krawehl@franziskus.net | www.franziskus.net
Unterstützer gesucht:
Die gemeinnützige Einrichtung ist für alles, was über Wohnen, Essen und Sauberkeit hinausgeht, auf Geldspenden angewiesen, z.B. für Materialien, aber auch Ausflüge. Ebenfalls toll: Einige Unternehmen wie etwa Airbus unterstützen den Verein und seine BewohnerInnen mit Sozialtagen ihrer Mitarbeitenden. Nachahmer sind ebenfalls willkommen!
Bankverbindung: Förderverein Franziskus e. V. | IBAN: DE07 2005 0550 1254 1290 08
Felix Krawehl
Sein Bruder, der in einer ähnlichen Einrichtung wie Franziskus lebt, war der Grund, warum Felix Krawehl nach seinem Zivildienst dort, ein Studium als Sonderschullehrer absolviert hat. Nach 13 Jahren in der Schule, davon acht als Schulleiter, ist er nun seit Anfang 2024 als Heimleiter bei Franziskus e.V. für die inhaltlichen Belange zuständig, die kaufmännische Geschäftsführung liegt bei Tatjana Groß.
Mal in der Nachbarschaft vorbeischauen!
Die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus e.V. betreibt auch einen kleinen Bioladen: Neben frischem, regionalem Obst und Gemüse gibt es Käse und Wurst, aber auch Naturkosmetik. Montags und mittwochs liefert die Biobäckerei Effenberger frisches Vollkornbrot. Und wer etwas Zeit mitbringt, kann sich einen leckeren Biokaffee oder -tee mit einem Stück frisch gebackenem Kuchen gönnen. Und dabei stöbern: Es gibt nämlich auch selbstgemachtes Nützliches und Geschenke zu entdecken: Von Kerzen über Marmeladen mit Obst aus dem eigenen Garten bis zu Geschirrhandtüchern und Frühstücksbrettchen.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag von 10 bis 14 Uhr. Op’n Hainholt 88, 22589 Hamburg.
Sabine Müntze


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