Hamburgs Westen – am 3. März 1943 abgestraft mit dem alles verzehrenden Feuer vom Himmel 

von Ronald Holst

Dieser graue Kriegs-Mittwoch war für die Menschen im Hamburger Westen zunächst ein Tag wie jeder andere. Sie gingen ihrer Arbeit nach und erledigten notwendige Pflichten, ohne zu murren. Dabei lastete der Krieg immer schwerer auf ihnen. Nicht nur, dass die meisten Väter, Brüder, Söhne und Ehemänner an den Fronten standen, nein, immer mehr Menschen mussten Schwarz tragen oder verwundete Angehörige im Lazarett besuchen. 

Reihe von Lebensmitteln gab es schon seit August 1939 nur auf Marken, alle anderen wurden im Laufe des Kriegs bewirtschaftet. Ge- und Verbrauchsgüter sowie Kohle erhielt man nur, wenn man neben der Bezahlung einen Bezugsschein vorweisen konnte.
Dafür wurden die Arbeitszeiten immer länger und die Nächte -– wegen der Alarme und Fliegerangriffe -– immer kürzer. Und wer morgens verschlafen zur Arbeit eilte, fand bekannte Straßen oft nicht wieder, weil sie dem letzten Fliegerangriff zum Opfer gefallen waren. 

Am 3. März ´43 lag die Kapitulation der Stalingrad-Armee einen Monat zurück. Das war ein Riesen-Schock für die Bevölkerung, besonders aber für Angehörige und Freunde der dort eingesetzten Soldaten.

Der 12-jährige Jochen Breckwoldt wurde von seinem Vater auf die veränderte militärische Lage hingewiesen, während sein alter Herr die Stecknadeln umsteckte, die den Frontverlauf auf der Landkarte im Flur markierten. „Schau mal, die Ost-Front verläuft jetzt 450 Kilometer weiter westlich, bei Lissitschansk in der Ukraine. So weit ist die Rote Armee -– nur einen Monat nach Stalingrad -– schon vorgerückt.“ Danach folgte der Satz, mit dem Vater Breckwoldt seinen Sohn immer wieder vergatterte: „Aber halt die Klappe: In der Schule, bei den Pimpfen, wenn du mit deinen Freunden sprichst, und überhaupt. Denk immer daran, dass du mich mit dem, was du hier siehst und hörst, ins KZ bringen kannst!“  

Die 108 Minuten lange Sportpalast-Rede von Reichs-Propagandaminister Goebbels, die er 14 Tage nach Kapitulation der 6. Armee hielt, sollte die „Volksgenossen“ nach Stalingrad nicht nur wiederaufbauen, sondern sie zu noch größeren Kriegsanstrengungen bewegen. Deshalb lautete der Kernsatz seiner Rede: „Ich frage euch, wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig – totaler und radikaler, als ihr ihn euch heute überhaupt vorstellen könnt?“ Frenetischer Beifall folgte. Zum Schluss beschwor er sein Auditorium: „Nun Volk, steh auf, nun Sturm brich los!“ 

Seinen Mitarbeitern gegenüber ließ er später wissen: „Wenn ich den Leuten im Sportpalast gesagt hätte, springt aus dem 3. Stock des Columbus-Hauses, sie hätten es auch gemacht!“

Am Abend des 3. März ´43 starteten 344 viermotorige RAF-Bomber in Süd-England, um Hamburg zu bombardieren. Im Zielgebiet gab es jedoch keine Erdsicht, sodass die Masterbomber in der wolkenbezogenen Nacht allein auf ihre brandneuen H2S-Radargeräte angewiesen waren. 

Noch ungeübt im Handhaben der Bildschirme unterliefen den Besatzungen Fehler. Auf dem verschwommenen Radarbild sahen sie den Wedeler Mühlenteich, hielten ihn aber für die Alster. Und die Elbe vor Wedel haben sie wegen der vorherrschenden Ebbe mit dem Hamburger Hafengebiet verwechselt. Entsprechend setzten sie hier die grünen Markierungsbomben, im deutschen Volksmund „Tannenbäume“ genannt. Ein Großteil der anfliegenden Maschinen warf daraufhin ihre Bombenlast auf Wedel. Doch das Zielareal war viel zu klein für die Masse der eingesetzten Bomber. Viele warfen ihre Bomben da ab, wo es gerade passte, zerstörten dabei auch Teile von Rissen und Blankenese. Der Schadensradius der Abwürfe lag insgesamt zwischen Haselau und der Nikolai-Kirche am Hamburger Hopfenmarkt, einer Gesamt-Entfernung von 40 km.

Blankenese war bis zum 3. März 1943 von Bomben so gut wie verschont geblieben. Das Heulen der Sirenen trieb deshalb nicht alle in die Schutzräume. Da war es ein Glück, dass die Schäden in Blankenese nicht annähernd den Umfang von Wedel hatten. Hier gab es nur vier Tote. Besonders betroffen war der Bereich zwischen dem Blankeneser Markt und der ehemaligen Post an der Blankeneser Bahnhofstraße. 

Mit dem Postgebäude wurde ausgerechnet das Fernsprech-Knotenamt zerstört. Das bedeutete den Totalausfall des Telefonnetzes, so dass die Verantwortlichen in Hamburg erst Stunden nach dem Angriff ein Lage-Bild erhielten und die Rettungsmaßnahmen tagelang nicht effektiv koordinieren konnten.

Auch das Geschäftshaus von Buchhändler Bröer war zerstört. 

Bröers 20-jährige Tochter kam im väterlichen Keller ums Leben, ihr zweijähriger Sohn Jörn überlebte, weil sich seine Mutter schützend über den Kinderwagen gebeugt hatte. 

Der 17-jährige Oskar Rahloff, Sohn vom gegenüberliegenden Blumengeschäft, war nach dem Angriff aus dem Keller seines gleichfalls in Mitleidenschaft gezogenen Eltern-Hauses gestürzt, hin zu Bröers Keller. Dort fand er die Leiche der jungen Nachbarin, aber auch den kleinen Jörn Leghan. Ihn befreite er und übergab ihn seinen Familienangehörigen. 

70 Jahre später, 2013, begegneten sich die inzwischen betagten Herren Oskar Rahloff und Jörn Leghan zum ersten Mal wieder. „Ich wollte meinem Retter schon immer danken!“, waren Leghans Worte. Ausgelöst war das Treffen durch eine Ausstellung des Förderkreises Historisches Blankenese im Fischerhaus über den besagten Angriff. 

Bombenschäden wurden im Frühjahr 1943 auf Parteiinitiative beseitigt, sofern es keine Totalschäden waren. (Nach den Gomorrha-Angriffen im Juli/August ´43 änderte sich das radikal.) Die Schadensbehebung galt aber nur für Bürger, die nicht gegen das Regime eingestellt waren. Haus und Betrieb der Buchdruckerei „Detje & von Helms“ in der Propst-Paulsen Straße wurden bei dem Angriff zerstört. Detjes Frau Frieda kam dabei sogar ums Leben. Doch der Druckereibesitzer erhielt weder eine Ausgleichszahlung noch eine Ersatzfläche für seinen Betrieb. Er hatte sich zu oft als Nazi-Gegner zu erkennen gegeben.

Wedel hatte der Angriff besonders schwer getroffen. Zu beklagen waren 37 Tote und 157 Verletzte. 394 Wohngebäude wurden leicht und 860 erheblich bis total zerstört. Betroffen waren auch der Bahnhof, die Kirche und das Kinderheim. Nach dem Angriff wurden allein 627 Brände gezählt. Nur 19 Wedeler Häuser blieben ganz ohne Schaden. 3.000 der 8.650 Einwohner mussten kurzfristig in Nachbargemeinden untergebracht werden, denn 70% der Stadt war zerstört. 

Der Angriff vom 03.03.´43 war eine von 28 ungeplanten „Luftkriegshandlungen“ auf Wedel. Nummer 29 war der Angriff vom 06.08.44 auf die Raffinerie der „Deutsche Vaccuum Oil“. Das war der einzige Luft-Angriff auf die kleine Stadt, den man tatsächlich geplant hatte. 

Auch wenn die Bombardierung vom 03.03.43 vor 81 Jahren geschah, auch wenn er zu den Reaktionen auf den furchtbaren deutschen Angriffskrieg sowie die vielen anderen Nazi-Verbrechen zählte, hören wir täglich von vergleichbaren Luftschlägen aus der Ukraine. Und sie bewegen uns tief.

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