Angebot des Blinden- und Sehbehindertenvereins

Sie können nicht ins Museum kommen? Dann kommt das Museum zu Ihnen bzw. ans Telefon: Jeden Monat finden deutschlandweit 20 kostenlose Führungen durch Ausstellungen statt – am heimischen Telefon.
Ein tolles Angebot für alle, die Lust auf Kultur haben – unabhängig von Mobilität, Sehvermögen oder Wohnort.
Ein Museumsguide führt Sie zum Beispiel für eine Stunde durch eine Ausstellung und beschreibt Ihnen die visuellen Inhalte am Telefon.
Sie hören ganz entspannt zu und haben die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder sich mit anderen auszutauschen.
Ähnlich einer Führung vor Ort, nur von zuhause aus!
Mitmachen kann jeder denkbar einfach mit seinem Telefon und vorheriger Anmeldung.
Das Programm finden Sie auf: www.beianrufkultur.de
Dieses Angebot hat Mathias Knigge gemeinsam mit dem Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. (BSVH) entwickelt.
In der Dorfstadtzeitung von Markus Krohn war über das Werden dieses Angebotes folgendes zu lesen:
Von der Notlösung zum Erfolgsmodell
Ein »Blankeneser Jung« erfindet »Bei Anruf Kultur« – jetzt feiert das Projekt ein kleines Jubiläum |
Vor fünf Jahren legte die Corona-Pandemie das gesellschaftliche Leben lahm, der Zugang zu Kultur war versperrt. Aus dieser Krise entstand eine Idee, die bis heute wirkt: „Bei Anruf Kultur“. Was vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. (BSVH) und grauwert, Büro für Inklusion und demografiefeste Lösungen, als kreative Antwort auf den Lockdown begann, hat sich inzwischen zu einem deutschlandweit etablierten Angebot entwickelt. Fast 100 Museen und Kulturinstitutionen ermöglichen mittlerweile inklusive Telefonführungen – für Menschen, die auch nach dem Ende der Pandemie noch keinen Zugang zu Kultur hätten. Von Anfang an dabei: Der in Blankenese aufgewachsene Mathias Knigge, Kopf der Inklusionswerkstatt Ottensen, hat Maschinenbau und Produktdesign in Berlin studiert und engagiert sich seit über 10 Jahren für ein Universal-Design, dass alle Menschen einbezieht.
Um Blinde und Sehbehinderte in der Corona-Zeit aus der Isolation zu holen, überzeugte er 2021 die Behörden, ungenutzte Fördermittel für die Barrierefreiheit umzuwidmen, um ein einzigartiges Projekt anzustoßen: „Bei Anruf Kultur“.
Die Idee: Kultur trotz des Lockdowns erlebbar zu machen. Schnell zeigte sich jedoch, dass das Angebot weit über die Pandemie hinaus einen wichtigen Zugang schafft – für Menschen mit Sehbehinderungen, eingeschränkter Mobilität, finanziellen Hürden oder geografischer Distanz. Die Nachfrage wuchs rasant: Bereits im ersten Jahr fanden 75 Führungen statt, 2024 waren es schon 203.
Heute nehmen Interessierte aus ganz Deutschland per Telefon an den Live-Führungen teil. Und nicht nur Blinde und Sehbehinderte, sondern auch Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder Interessierte mit und ohne Behinderungen, die schon immer mal an einer Führung durch ein Museum teilnehmen wollten – „bei der Eröffnungsfahrt der Peking hatten wir sogar Gäste aus Spanien dabei“, erinnert sich Knigge.
Expertinnen und Experten führen sie durch Ausstellungen, Denkmäler, Gedenkstätten, Städte und Gärten. Sie beantworten Fragen und regen Diskussionen an. Das Besondere: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erleben Kultur interaktiv, inklusiv und barrierefrei – unabhängig von Wohnort oder Einschränkungen. In der Regel erfolgt die Führung in zwei Phasen: Zunächst werden die Gäste via Beschreibungen am Telefon durch das Museum geführt und die Exponate vorgestellt. Anschließend können die Teilnehmenden Fragen stellen oder eigene Erfahrungen miteinander teilen. Nebeneffekt: Gegenüber Live-Führungen im Museum stören weniger Nebengeräusche, die Führungen sind meist sehr individuell und es gibt mehr Austausch zwischen den Teilnehmern. Es ist aber auch möglich, sich zurückzuhalten und einfach zuzuhören.
Die Moderation der kostenlosen Führungen erfolgt live. Wer dabei sein will, braucht sich nur über die Homepage www.beianrufkultur.de oder über die dort angegebene Telefonnummer anzumelden. Ein Wahlscheibentelefon reicht aus. Alle Teilnehmenden erhalten eine Rufnummer, unter der sie sich zur angegebenen Uhrzeit einwählen – und schon ist man dabei. So können auch Menschen teilnehmen, die nicht über einen Internetanschluss verfügen.
Eine aktuelle Evaluation zeigt: Über die Hälfte der Teilnehmenden ist über 60 Jahre alt, 75 Prozent sind Frauen, und 45 Prozent leben allein. Zudem haben viele eine oder mehrere Einschränkungen, die ihnen den Zugang zu Kultur erschweren. Etwa 10–20 Personen nehmen an den Führungen je Termin teil. Nur etwa ein Drittel gibt an, keine Behinderung zu haben. „Am Telefon sind alle Teilnehmenden gleich“, erklärt Mathias Knigge, das Thema Einschränkung werde selten thematisiert. „Der Spaß an der Kultur steht hier im Vordergrund“. Ohnehin würden verschiedene Menschen ein- und dasselbe Bild immer unterschiedlich wahrnehmen und beschreiben. Durch die Konzentration der Teilnehmer auf den Hörsinn sei die Führung durchs Museum teils intensiver und die Atmosphäre intim, ohne in den persönlichen Bereich der Teilnehmer eindringen zu müssen. Das zeigt: „Bei Anruf Kultur“ schließt eine große Lücke in der Kulturvermittlung.
Den Mix der Führungen aus unterschiedlichen Ausstellungen sowie großen und kleinen Museen kuratiert Mathias Knigge, akquiriert weitere Museen und organisiert Schulungen für die Museumsführerinnen und Führer, die dadurch auch für ihre örtlichen Führungen profitieren.
„Es ist ein großer Erfolg, dass wir mit unserem Angebot Menschen erreichen, die in der Kulturvermittlung oft übersehen werden. Gleichzeitig bieten wir Kulturstätten eine Möglichkeit, dies zu ändern“, erklärt Melanie Wölwer, Projektleiterin von „Bei Anruf Kultur“. „Unser Ziel ist es nun, das Angebot langfristig zu etablieren. Dafür sind wir auf Förderungen, Sponsoren und Spenden angewiesen.“
Aktuell wird „Bei Anruf Kultur“ durch Aktion Mensch und die Behörde für Kultur und Medien Hamburg gefördert. Doch um das Projekt nachhaltig zu sichern und weiter auszubauen, sind zusätzliche finanzielle Mittel erforderlich.