Klassenraum statt Kajüte
Das „Segelnde Klassenzimmer“, die Fahrt von rund 30 Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Blankenese vor dem Übertritt in die Oberstufe auf der „Thor Heyerdahl“, darf dieses Jahr nicht stattfinden. Aufgrund der Corona-Pandemie erteilt die Stadt Hamburg keine Genehmigung für Klassenfahrten bis Ende des Schuljahres. Für die Jugendlichen heißt es nun Klassenzimmer statt Kajüte. Für blankenese.de sprach Saskia Drechsel mit stellvertretend für die gesamte Gruppe mit Clara und Nikolai
Liebe Clara, lieber Nikolai, am Montag durftet ihr, wie alle Hamburger Schülerinnen und Schüler, endlich wieder mit der ganzen Klasse gemeinsam in den Unterricht. Ein Stückchen Normalität also.
Ihr wäret aber gerade eigentlich gerne ganz woanders. Was hattet ihr vor?
N: Wir hatten für den letzten Samstag von Kiel aus den Start für einen dreiwöchigen Segeltörn im Rahmen des Schul-Projektes „Segelndes Klassenzimmer“ geplant.
C: Dabei wären wir mit 35 Schüler:innen auf dem Dreimaster „Thor Heyerdahl“ an der deutschen Ostseeküste entlang gesegelt. Ursprünglich war die Reise sogar nach Norwegen geplant, wo wir uns mit Thor Heyerdahl Junior hätten treffen sollen.
Wir hätten auf dem Schiff Erfahrungen gemacht, die unseren Teamgeist, unser Durchhaltevermögen und unser Verantwortungsbewusstsein gestärkt hätten
Was verbirgt sich hinter dem Segelnden Klassenzimmer?
N: Während des Segelnden Klassenzimmers hätten wir 35 Schüler:innen die Möglichkeit erhalten,unserem Lernen durch das Prinzip der Erlebnispädagogik mehr Tiefe zu verleihen.
C: Wir hätten auf dem Schiff auch weiterhin Unterricht gemacht, wären aber auch in den Schiffsalltag eingebunden gewesen und hätten dort Erfahrungen gemacht, die unseren Teamgeist, unser Durchhaltevermögen und unser Verantwortungsbewusstsein gestärkt hätten.
N: Wir hätten nämlich in den drei Wochen auf dem Dreimaster wesentliche Aufgaben und Verantwortung in einer Gruppe übernommen.
Wir haben schon seit der siebten Klasse auf dieses Projekt hingefiebert
Seit wann war diese Reise geplant?
N: Wir haben uns bereits vor zwei Jahren für die Teilnahme beworben und treffen uns seit einem Jahr alle zwei Wochen für zwei Stunden, um uns auf das Lebenund den Alltag an Bord vorzubereiten.
C: Wir haben schon seit der siebten Klasse auf dieses Projekt hingefiebert und uns darauf gefreut.
Was wurde unternommen, um eine Infektion auszuschließen?
C: Es gab ein ausgefeiltes Hygienekonzept , das bereits auf dem „Klassenzimmer unter Segeln“ im vergangenen Jahr angewandt wurde und sich dort einwandfrei bewährt hat.
(Anmerkung der Redaktion: Das ‚Klassenzimmer unter Segeln‘ ist ein mit dem ‚Segelnden Klassenzimmer‘ vergleichbares Projekt, bei dem Schüler aus ganz Deutschland insgesamt sogar 6 Monate von Oktober bis April mit der Thor Heyerdahl unterwegs sind. Diese Reise wurde trotz der Einschränkungen aufgrund der Pandemie 2020/21 durchgeführt: https://www.ndr.de/geschichte/schiffe/Thor-Heyerdahl-Das-schwimmende-Klassenzimmer,thorheyerdahl16.html)
N: Wir hatten außerdem eine fünftägige Selbstquarantäne – so weit schulisch möglich – vor Beginn der Reise geplant, wollten als geschlossene Kohorte anreisen, am Anreisetag in Kiel einen PCR-Test machen und dann bis zum Eintreffen der Testergebnisse FFP2-Masken tragen. Wir hätten dann während der gesamten Reise keinen Kontakt zu außenstehenden Menschen gehabt – außer zu der Schiffsbesatzung.
Im nächsten Jahr fährt hoffentlich eine Gruppe der jetzigen neunten Klassen.
Könnt Ihr die Reise nicht einfach im nächsten Schuljahr nachholen? Wie könnte das aussehen?
N: Leider nein, da die Thor Heyerdahl mit anderen Projekten ausgebucht ist – im nächsten Jahr fährt zum Beispiel hoffentlich eine Gruppe der jetzigen neunten Klassen.
C: Es ist so, dass die Thor Heyerdahl das ganze Jahr über erlebnispädagogische Reisen veranstaltet und wir nur den gegebenen Zeitraum haben. Auch nächstes Jahr stehen dem segelndem Klassenzimmer wieder „nur“ drei Wochen „zur Verfügung“. Da die Teilnehmerzahl aber begrenzt ist und nächstes Jahr ein neuer Jahrgang die Möglichkeit hat, dieses Projekt zu machen, ist diese Chance für uns nicht wiederholbar.“
Ihr hattet im Namen aller Eurer „Mitsegler:innen“ an Schulsenator Ties Rabe persönlich geschrieben, um doch noch eine Genehmigung der Reise zu erreichen. Wie haben der Senator und die Behörde darauf reagiert?
C: Wir haben am Pfingstmontag eine Antwort erhalten, in der uns Herr Rabe nach wesentlichen Informationen zum Segelnden Klassenzimmer gefragt hat. Er wollte unseren Fall von der Rechtsabteilung prüfen lassen. Seine freundliche Art hat uns sehr viel Hoffnung gemacht, doch leider gab es kein positives Ergebnis.
N: Ich möchte betonen, dass der Umgang mit uns Schüler:innen und unserem Anliegen sehr respektvoll, wertschätzend und freundlich war. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sie aus rechtlichen Gründen das Projekt absagen mussten.
Natürlich darf man nicht alles vergleichen. Wenn aber seit Mai von Kiel aus und ab dem 01.06. auch aus Hamburg wieder Kreuzfahrten ablegen, macht Euch das sauer?
N: Diese Frage finde ich nicht gut, weil die Antwort auf Neid basieren würde. Außerdem sind mir die Kreuzfahrten, abgesehen vom Umweltaspekt, egal. Wir hätten ja auch nichts davon, wenn sie auch nicht fahren könnten.
C: Ich finde, dass das nichts mit Neid zu tun hat. In mir löst diese Tatsache eher nur noch mehr Unverständnis aus, denn ich verstehe nicht, inwiefern das Ansteckungsrisiko auf einem Kreuzfahrtschiff geringer ist als bei uns auf dem segelnden Klassenzimmer. Klar ändert es für uns nichts an der Situation, dass wir nicht fahren dürfen, aber für mich ergibt es einfach keinen Sinn und das macht mich sauer, ja.
Studienfahrten wie das Segelnde Klassenzimmer würden uns einen Lichtblick in und eine Auszeit von der aktuellen Lage bieten.
Klassen- und Studienfahrten sind bis zu den Sommerferien verboten. Welchen Stellenwert haben Klassen- und Studienfahrten nach Homeschooling und Wechselunterricht für Euch?
N: Studienfahrten wie das Segelnde Klassenzimmer würden uns einen Lichtblick in und eine Auszeit von der aktuellen Lage bieten.
C: Das gilt nicht nur für uns, sondern für alle Schüler:innen. Jeder musste und muss in dieser Pandemie seinen Beitrag dazu leisten, dass wir die Lage in den Griff bekommen. Und jeder leidet unter dieser Situation. Klassenfahrten waren ohnehin immer schon Highlights, aber vor allem in dieser Zeit würden sie uns, wie Nikolai schon gesagt hat, eine Auszeit in dieser belastenden Situation geben.
N: Wir Schüler:innen befinden uns in einer außergewöhnlichenund schwierigen Situation. Seit einem Jahr ersetzen Videokonferenzen die Lehrer:innen,Telefonate die Freund:innen und eine Website ersetzt den Schulhof. Seit einem Jahr schränkenwir unseren Alltag massiv ein, um die gefährdeten Mitglieder unserer Gesellschaft zuschützen. Es ist bereits der zweite Geburtstag, den wir ohne Freund:innen verbringen, dieHobbys haben sich auf ein Minimum vor den Computerbildschirmen beschränkt, selbsteinfaches Spazierengehen mit Freund:innen erweist sich als Herausforderung. Daher wäre es gerade jetzt für uns sehr schön gewesen, wieder mit vielen Mitschüler:innen zusammen ein positives gemeinsames Erlebnis zu haben – in der Natur und mit viel Bewegung.
Ich sehe hier nicht mal das Bemühen, ein gegebenes politisches Versprechen einzuhalten.
Die Politik hat immer wieder zugesagt, dass nach einem Jahr der Reduzierung aller Kontakte nun vor allem auf die schwierige Situation der Kinder und Jugendlichen geachtet werden soll – wie seht ihr das?
Wird dieses Versprechen eingelöst?
N: Nein, an dieser Stelle eindeutig nicht. Unsere Fahrt wurde mit Hinweis auf die Hamburgische SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung § 23 Abs. 4 abgesagt, wonach Klassen- und Studienfahrten untersagt sind.
In anderen Situationen, zum Beispiel beim Zulassen von Zuschauer:innen bei Spielen der HSV-Handballer, sind Sonderregelungen möglich, für uns wurde leider keine gefunden. Ich empfinde hierbei, dass mit unterschiedlichem Maß gemessen wird.
C: Die Politik hält das Versprechen absolut nicht. Erst vor kurzem wurde das Verbot der Schulfahrten verlängert, die, wie wir schon erklärt haben, sehr wichtig für uns sind. Stattdessen gehen wir wieder alle zusammen in die Schule, Außengastronomien werden wieder geöffnet, es sind wieder hohe Besucherzahlen bei Sportveranstaltungen erlaubt. Aber wir Schüler dürfen nicht auf Klassenfahrten gehen? Das ergibt für mich keinen Sinn. Wir haben unsere Situation in unserem Brief dargestellt, weil wir auf eine Sondergenehmigung gehofft haben. Die Antwort, die wir bekommen haben, war, dass das Segelnde Klassenzimmer eine Schulfahrt sei und diese nicht gestattet sind. Ich sehe hier nicht mal das Bemühen, ein gegebenes politisches Versprechen einzuhalten.
Vielen Dank Euch beiden für Eure offenen Worte. Ich hoffe und wünsche Euch sehr, dass ihr jetzt nicht nur Euren „normalen Alltag“ zurückbekommt, sondern bald auch wieder ganz besondere Momente gemeinsam mit Euren Freund:innen und Mitschüler:innen erleben dürft. Es wird wirklich Zeit!