Wer hat eigentlich Vorfahrt ?

Viele von Ihnen kennen sicher diese Verkehrssituation selbst. Sie befahren die Blankeneser Bahnhofstraße in Richtung Bahnhof. An der Einmündung Mühlenberger Weg nähert sich von rechts ein PKW. An beiden Straßen befinden sich keine Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen. Wer hat also Vorfahrt? Einige Fahrerinnen und Fahrer sind nach unseren Beobachtungen verunsichert. Für andere scheint es klar zu sein. Natürlich gelte  in so einem Fall „rechts vor links“, so wie es an der nächsten, 50 Meter entfernten  Einmündung Bahnhofstraße/ Godeffroystrasse doch auch der Fall ist. Aber stimmt das? Peter Franz hat sich die Situationen vor Ort einmal näher angesehen und den Rat von Experten eingeholt.

Zunächst ist festzustellen, dass der Mühlenberger Weg an der Einmündung in die Bahnhofstraße baulich verändert wurde. Hier wurde vom Bezirksamt im Zusammenhang mit den baulichen Maßnahmen rund um den Marktplatz eine sogenannte Bordsteinabsenkung vorgenommen und im Einmündungsbereich des Mühlenberger Weges eine kleine gepflasterte „Kuppe“ errichtet. Ähnliche Veränderungen wurden auch an den Einmündungen des Straßenzuges Sülldorfer Kirchenweg zwischen Bahnhof Blankenese und Willhöden vorgenommen. Gleichzeitig fällt auf, dass in diesem Bereich alle Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen entfernt wurden. Warum das so gemacht wurde, erläutert der Pressesprecher des Bezirksamtes (BZA) Altona gegenüber unserer Redaktion:

Mike Schlink, BZA Altona: „Aus den damaligen Verschickungsunterlagen ergibt sich, dass alle Einmündungen als Gehwegüberfahrten hergestellt werden, um eine klare, bauliche Verdeutlichung der Vorfahrt des Sülldorfer Kirchenweg zu erreichen. Zudem ergeben sich für den Fußverkehr ein zusätzlicher Schutz sowie eine bevorrechtigte, erleichterte Querung“.

Die Bezirksverwaltung sehe noch einen anderen Vorteil, da durch diese Planung ein „Schilderwald“ vermieden werden könne und damit pro Einmündung das Verkehrszeichen für Vorfahrtsstraße und das Verkehrszeichen für Vorfahrt achten entfallen könne. Der Sprecher des BZA  weist darauf hin, dass Gehwegüberfahrten – wie in Blankenese – ausdrücklich in den Hamburger Regelwerken zum Straßenbau vorgesehen seien.

Nun stellt sich die natürlich die Frage, was das straßenbauliche Konzept  für die Verkehrsteilnehmer bedeutet und ob die Vorfahrtregelung in diesem Bereich für alle eindeutig erkennbar ist? Das möchte ich von Timo Rust wissen, dem Leiter „Prävention und Verkehr“ am Polizeikommissariat 26 in Osdorf.

Timo Rust: „Wer über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren will, muss allen anderen (querenden) Verkehrsteilnehmenden Vorrang gewähren. Man hat sich quasi so zu verhalten, als fahre man von einem Grundstück aus auf die Fahrbahn ein“. So lautet die formale Antwort des Polizisten unter Hinweis auf den § 10 der Straßenverkehrsordnung (StVO), der genau diese Situation beschreibt. Damit ist also der von rechts  aus dem Mühlenberger Weg kommende Verkehrsteilnehmer  wartepflichtig. Und das gilt auch für die bereits erwähnten Einmündungen im Sülldorfer Kirchenweg. Aber lässt sich das für den von rechts kommenden Autofahrer immer so schnell erkennen? Timo Rust vom PK 26 bezieht hier eindeutig Stellung: „Die Einmündungen mit einer Bordsteinabsenkung sind baulich anders gestaltet als eine Einmündung an der „rechts vor links“ gilt. Der sonstige Straßenteil wird unmittelbar vor der Einmündung in baulich „erhobener“ Form als Gehwegüberfahrt über den Gehweg geführt und trifft über die Bordsteinabsenkung auf die bevorrechtigte Fahrbahn. Der Einmündungsbereich ist baulich wie eine Grundstücksausfahrt gestaltet“.

Aber sind diese baulichen Veränderungen bei Dunkelheit, Schnee oder Laub auf der Fahrbahn überhaupt zu erkennen?  Für den Verkehrsexperten der Polizei gibt es da keine Ausrede :

Timo Rust: „Aufgrund des baulichen Unterschiedes lassen sich auch bei Schneefall oder schlechter Sicht die Einmündungsarten unterscheiden. Im Übrigen haben alle Verkehrsteilnehmende bei solchen Witterungsverhältnissen ihre Fahrweise entsprechend anzupassen und im Zweifel auch auf den Vorrang zu verzichten. Es handelt sich um bestehende Verkehrsregeln, die wie auch in anderen Fällen grundsätzlich keiner weiteren Beschilderung bedürfen“, ergänzt der Polizist.

Und wie sieht es nun zum Beispiel an der Einmündung Bahnhofstraße/ Godeffroystraße aus, die doch nur 50 Meter vom Mühlenberger Weg entfernt ist? Worin liegt der Unterschied?

Timo Rust: „Fahrbahnen an Einmündungen mit „rechts vor links“ Regelung sind niveaugleich (durchgehend asphaltiert oder gepflastert). Keine der beiden Fahrbahnen wird erhoben über einen Gehweg geführt, der Gehweg ist an diesen Einmündungen über eine Bordsteinabsenkung unterbrochen. Der Bordstein wird durchgehend von der einmündenden Straße in den Verlauf der anderen Straße geführt“.

Also gilt hier „rechts vor links“, wie gehabt.

Übersichtlicher ist es für mich nicht geworden und verlassen möchte ich mich auf der bevorrechtigten Straße ohnehin nicht, dass die anderen Verkehrsteilnehmer wissen, dass sie wartepflichtig sind und wer Vorfahrt hat. Tatsächlich gab es die bauliche Möglichkeit von Bordsteinabsenkungen und die damit einhergehenden Vorfahrtregelungen für Straßen schon seit vielen Jahren in der StVO, wurden aber in der Vergangenheit offenbar selten genutzt. Sind da nicht die Verkehrsteilnehmer überfordert, zumal insbesondere lebensältere Führerscheininhaber diese Regelungen meistens nicht in der Fahrausbildung explizit gelernt haben? „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, bestätigt mir Christian Brügge, Inhaber einer Fahrschule in Blankenese die Situation im Straßenverkehr. Er vermute, dass viele Autofahrer langjährige Routinen entwickelt haben. Am Beispiel Blankeneser Bahnhofstraße/ Mühlenberger Weg hätten einige schlicht nicht realisiert, dass es hier durch bauliche Veränderungen eine geänderte Vorfahrtregelung gegeben habe. Deshalb würden während seiner Fahrstunden und auch im theoretischen Unterricht die unterschiedlichen Vorfahrtregelungen intensiv trainiert. Missachtung der Vorfahrt beobachte Fahrlehrer Brügge in Blankenese  eher bei  Verkehrsteilnehmern mit einheimischen Kennzeichen. Touristen in Blankenese würden sich auf „fremden Terrain“ eher umsichtiger verhalten, so die Einschätzung des Fahrlehrers.

Glücklicherweise sei es im zurückliegenden Jahr 2024  (bis einschließlich November) im Straßenzug Blankeneser Bahnhofstraße und weiter im Sülldorfer Kirchenweg laut Polizeipressestelle nur zu einem einzigen Verkehrsunfall in diesem Zusammenhang gekommen. Hoffen wir also, dass es so bleiben wird.

Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
§ 10 Einfahren und Anfahren

Wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone (Zeichen 242.1 und 242.2), aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1 und 325.2) auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Die Absicht einzufahren oder anzufahren ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Dort, wo eine Klarstellung notwendig ist, kann Zeichen 205 (s.u.) stehen.

Peter Franz

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Noch eine kleine Schilderkunde bzw. die Auflösung eines Zahlenrätsels:

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