Angesicht: Benjamin Ali Reza

Benjamin Ali Reza

Interview im Gemeindebrief der ev. Kirchengemeinde Blankenese: Ein Flüchting, der bei uns angekommen ist.

Benjamin Ali Reza, geboren 1996 als Ali Reza in Herat, Afghanistan, getauft auf den Namen Benjamin 2017 in Hamburg-Jenfeld | Ausbildung zum Hafenschiffer im Hamburger Hafen bei Fa. Karl H.  Meyrose, wohnt in Osdorf

Lieber Benjamin, warum hast Du Dir diesen Namen ausgesucht?

Es ist ein schöner Name. Es gibt ihn auch in Afghanistan, es gibt ihn auf der ganzen Welt. Ich habe hier mit dem Namen ein neues Leben angefangen.

Heute hast Du den zweiten Teil Deiner praktischen Abschlussprüfung gehabt.

Es war einfach, ich musste nur den Motor anschmeißen. Die Fahrprüfung hatte ich schon letzte Woche und das ging sehr gut, ich kann gut steuern. Und in zwei Tagen muss ich spleißen. Am 17. Juni ist dann die Theorie.

Hast Du Angst davor?

Nein, ich mag Lernen. Ich habe keine Erfahrung mit Abschlussprüfungen, aber ich bin gut vorbereitet. Ich habe viel gelernt und ich versuche, es zu schaffen. Ich möchte eine 1, aber wenn es eine 4 wird, ist es auch ok. Ich bin sehr gut in Mathe und auch in Seekunde.

Und Du motivierst Dich immer selbst?

Ich lerne am Abend und an den Wochenenden. Manchmal ist es schwer für mich, dann gehe ich spazieren und höre Musik. Ich wollte immer lernen. Wir lebten lange Zeit in Iran, aber da durfte ich als Afghane nicht zur Universität. In Afghanistan konnte ich auch nicht studieren, da ich mittlerweile nicht mehr gut genug Dari sprach. Ich bin geflohen, das ist eine lange, schwere Geschichte. Ich habe mich so verfolgt gefühlt. Ich habe meine Heimat verlassen, das ist es. Und wo ich am Ende bin, ist egal. Ich will einfach nur in Ruhe leben und lernen, damit ich mir eine Zukunft schaffen kann. Und ich habe einen Chef, der Firmenbesitzer, der mir immer Mut macht. „Du musst die Prüfung schaffen, Benni“, sagt er. „Andere dürfen, aber Du musst und Du wirst“. 

Konntest Du nach Deiner Ankunft 2015 in Deutschland mit dem Lernen beginnen?

Ich durfte erst nicht zum Deutschkurs gehen, das war ein Schock. Afghanen hatten ja keine große Chance, in Deutschland zu bleiben. Ich wurde depressiv und habe aber im Internet mit meinem Handy gelernt. Nach einigen Monaten durfte ich zu einem Kurs gehen und habe alles gut bestanden – bis B1. Und damit konnte ich in die Weiterbildung gehen und war fleißig in der Werkstatt mit einem guten Lehrer. Über ihn habe ich ein Praktikum bei Fa. Karl H. Meyrose bekommen. Und dann haben die mich für die Ausbildung angenommen. Zuerst war ich ein bisschen dumm, das erste Jahr war schwer. Aber ich habe mir immer Arbeit gesucht, viel gelernt und ab dem zweiten Jahr bekam ich gute Noten.

Wie geht es Dir?

Ich wohne alleine und ich bin alleine. Meine Familie lebt jetzt auch in Hamburg, im Norden. Ich habe eine große Schwester, die im nächsten Jahr heiraten möchte, und zwei kleinere Geschwister. Ich denke immer an meine Geschwister. Sie leben und lernen hier gut. Ich kann die Kinder in Afghanistan nicht vergessen.

Dein Verhältnis zu Deinem Vater war schwierig, ist er jetzt stolz auf Dich nach allem, was Du geschafft hast?

Ja, er ist jetzt auch ein anderer Mensch geworden. Heute geht es mir besser, der Anfang war schwer, weil keiner glaubte, dass wir Afghanen aus einem schweren Leben kommen. Oft konnte ich die Leute auch nicht verstehen. Ich dachte, hier seien alle so unfreundlich, und sehnte mich nach meinem Heimatdorf. Ja, wo ist eigentlich meine Heimat? Ich fühle mich so, dass die ganze Welt meine Heimat ist. Wenn ich mehr Geld verdiene, möchte ich mit 50.000 € in meinem Heimatdorf eine Schule bauen. Ich möchte, dass die Kinder dort es besser haben werden als ich.

Du bist über das Mittelmeer geflohen und auf Lesbos im Lager Moria gewesen. Und nun erzählst Du mir, dass Du dort über Weihnachten wieder hingereist bist. Ist das auch ein Stück Heimat?

Ich war zehn Tage dort, um mit den Menschen zu reden und ihnen Mut zu machen. Als ich damals über die Grenze nach Europa kam, da dachte ich: „Hier ist kein Krieg, hier kann ich ohne Angst leben.“ Aber erst einmal ist da gar nichts: kein Essen, kein Schlafplatz, nur Angst und Depression. Ich rede jetzt dort mit den Leuten, und sie fragen mich, warum ich aus Deutschland freiwillig wieder nach Moria komme. Ich sage ihnen, dass ich immer an sie denke und nur ruhig werden kann, wenn ich ihnen helfe. Nach meiner Ausbildung, wenn ich Urlaub habe, fahre ich in diesem Sommer wieder dorthin.

Und wie sind Deine Träume für Dein Leben hier, in Deutschland?

Ich möchte mich weiter ausbilden, zum Schiffsführer. Und das kann ich in der Firma. Ich möchte nun hier eine Freundin haben. Ich möchte Geld verdienen, um helfen zu können, und ich möchte ein Motorrad haben.

So ein schnelles, oder eine Harley?

Ein schnelles. Ich mag Adrenalin, dann fühle ich mich besser. Ich habe fünf Jahre nicht mehr von Herzen gelacht. Ich glaube, dass ich das dann kann.

Ist es ein Problem für Dich, hier so viel Wohlstand bei anderen zu sehen, findest Du die Welt ungerecht oder empfindest Du manchmal Neid?

Geld ist nicht alles. Ich habe mich schon oft gewundert, warum so viel Gold in den Kirchen ist, aber auch in der Moschee sieht man das. Oder auch die vielen goldenen Buddhas. Und daneben beten Menschen, die nichts zu essen haben. Ich frage mich oft, was Leute mit dem Geld so machen. Geld macht nicht glücklich. Mein Chef zum Beispiel hat seine Tochter mit 20 Jahren verloren, er konnte ihre Gesundheit nicht kaufen. Ich weiß auch über Physik und ich mag so gerne Astronomie. Da sind diese vielen, vielen Sterne und dazwischen nur diese kleine Erde. Ich kann mich besser in die Welt einfühlen, wenn ich so denke. Und wenn ich auf dem Wasser bin, dann bin ich nicht an Land, und auf dem Wasser bin ich ein freier Mensch.

Betest Du?

Ich versuche etwas zur Besserung in der Welt und in meinem Leben zu tun. Ich kann nicht nur beten. Ich sehe in den Menschen in Moria meinen Gott, in jeder Person da. Und sonst sehe ich zu Gott in den Sternen und jeder Mensch ist ein Stern. Später kaufe ich mir einmal ein Teleskop.

P.S.: Während des Interviews hat Benjamin immer wieder die Namen derer genannt, die ihm hier, in Blankenese, geholfen haben. Diese „Sterne“ leuchten besonders in seinem Leben, und wer dazu gehört, der weiß das jetzt.

Ev.-luth. Kirchengemeinde Blankenese: Stefanie Hempel
im Juli 2020

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