Der schönste Vorort der Welt – eine Kurzgeschichte von Blankenese

Blick vom Fischerhau auf den Elbhang

Die Geschichte eines Wohnplatzes unter dem Süllberg beginnt wahrscheinlich schon mit den Menschen, die nach der letzten Eiszeit über die Elbe kamen. Ihnen bot das Blankeneser Tal ideale Siedlungsmöglichkeiten. Geborgen in der Talmulde fanden sie Schutz vor schlimmen Nordwest-Stürmen, vor Hochwasser und Flusspiraten.

Erster „Hafen“

Die große Sandbank, die die Süderelbe vors Nordufer gespült hatte, war ideal zum Landen und Starten von Booten. Ansonsten waren die Ufer der Niederelbe mit dichten Schilfwäldern zugewachsen, sodass man fast nirgends ans freie Wasser gelangen konnte.

Der Name „Blankenese“ leitet sich von dieser Sand-Nase ab, die „blank“ und für alle Schiffer ein Ort war, den man vorsichtig umschiffen musste. Zunächst war Blankenese also kein Ortsname, sondern ein „nautischer Begriff“, der vor der gefährlichen Fluss-Hürde warnte.

Von dieser Nase aus konnte man das Elbe-Urstromtal mit einem Wasserfahrzeug innerhalb einer Tide (ca. 6 Stunden) in Nord-Süd-Richtung überwinden, indem man das auflaufende Wasser nutzte. Dessen Strömungsschub wirkte auch in die Este bis nach Buxtehude. Bei der Fahrt nach Blankenese nutzte man den Ebbestrom.

1898: Strandweg

Fortschrittsmetall gelangt nach Norden

Die Bronze-Rohstoffe Kupfer und Zinn gelangten zur Bronzezeit (3000 vor Christus) bei Blankenese und Wedel über den Strom und wurden von da weiter nach Skandinavien transportiert. Beide Erze gab es nicht in Nordeuropa. Sie kamen aus dem heutigen Bayern oder den Karparten in Rumänien. Auf dem sogenannten „Heerweg“ (alte Bezeichnung für Handelsweg) wurden sie von Wedel über Jütland, Fünen und Seeland nach Schweden und Norwegen geschafft. Der Heerweg war DIE Handelsstraße zwischen Skandinavien und Mitteleuropa. Auf ihm wurden nicht nur besagte Metalle transportiert, sondern über Jahrtausende alle Güter, die Menschen auszutauschen haben. Auch Sklaven oder eben Krieger.

Burgen auf dem Süllberg

Um die wichtige Blankenese Fähre zu sichern, plante Bischof Adalbert von Bremen im 11. Jahrhundert eine Erdburg auf dem Süllberg. Sie wurde unter Aufsicht eines Propstes und seiner acht Kriegsknechte durch Männer errichtet, die rund um den Süllberg hausten. Doch damit nicht genug: Neben der Fronarbeit forderte der Propst auch den Zehnt von ihnen, was sie überhaupt nicht verstanden. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, nach denen der Propst mit seinen Knechten unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Auch eine zweite Burg, die Ende des 13. Jahrhunderts von den Schauenburgern auf dem Süllberg gebaut wurde, musste abgebrochen werden, weil sie zu nahe an der Hamburger Einflussgrenze lag. Die Männer aus Blankenese dagegen arbeiteten weiter auf der Fähre. Außerdem fischten sie und sammelten Muscheln, jedoch nur für den Eigenbedarf. Nach Hamburg durften sie leider nichts liefern, das war Hamburger Fischern vorbehalten. 

Der Ochsentrieb

Ausgelöst durch die „Mittelalterliche Warmzeit“ zwischen 1000 und 1300 n. Chr. entstand in unserer Region ein um 2 Grad wärmeres Klima. Die Ernten explodierten, auch die Tierwelt und die Bevölkerung nahm stark zu. Dadurch kam es in Mitteleuropa zu zahlreichen Siedlungsgründungen, die mit importiertem Fleisch versorgt werden mussten. Deshalb setzten ab zweiter Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zirka 1720 große Rinderzüge aus Schleswig-Holstein und Jütland ein, die auf dem Ochsenmarkt in Wedel weiterverkauft wurde. An die 40.000 Ochsen (damaliger Begriff für Rinder) wurden zwischen Mitte März bis Ende April aufgetrieben und über Wedel und Blankenese nach Süden verschifft. Seit der Zeit heißt der „Heerweg“ auch „Ochsenweg“.

Adolf Friedrich Vollmer 1842 „Die Elbe bei Blankenese“

Die große Chance

1640 besetzte der Herzog von Holstein die schauenburgische Grafschaft Pinneberg. Der Herzog war in Personalunion König von Dänemark. Er verteilte sofort Privilegien an die Elb-Städte und -Dörfer. Dadurch gelang es den Blankenesern, „ganz groß“ ins Fischereigeschäft einzusteigen, weil ihnen die Fischgründe vor Holland sowie der holländische Markt erschlossen wurden. Diese einträglichen Geschäfte hielten bis 1806 an, bis zur französischen Kontinentalsperre. Zu der Zeit umfasste die Blankeneser Hochsee-Flotte 172 Ewer, zusätzlich zu einer Reihe Elbewer und der Fähre.

Ebbe: Fischerboote am Strand – 1901

Frachtfahrten

Nach der Kontinentalsperre war der holländische Markt vergeben, sodass sich der Fischfang vor den Niederlanden verbot. Deshalb begannen die Blankeneser mit ihren Fischereifahrzeugen Fracht zu fahren. Zunächst brachten sie Ware in die Ostsee, vor allem nach Königsberg. 

Weitere Fahrziele lagen in der Nordsee und im Mittelmeer. Zur Orangenernte fuhren sie als „Fruchtjager“ nach Südspanien und Sizilien, um Apfelsinen für den Hamburger Markt zu holen. Als Südamerika von den Kolonialmächten Spanien und Portugal aufgegeben wurde, öffneten sich die dortigen Häfen für „fremde Flaggen“. Ab den 1830er Jahren übernahmen Blankeneser den Küstenverkehr in Lateinamerika, 1848 fuhr das erste Blankeneser Schiff unter Kapitän Kröger um Kap Horn, um auch Waren an die südamerikanische Westküste zu liefern. Das Fahrgebiet Lateinamerika wurde von den Breckwoldts und von Appens oder wie sie hießen, bis zum Krieg 1870/71 betrieben. Auch in China und Ozeanien waren sie in der Küstenschifffahrt tätig. Um 1900 schlug endgültig das Totenglöcklein für die Blankeneser Fischerei und die Frachtfahrt, denn man hatte sich nicht rechtzeitig auf die Dampfschifffahrt umgestellt, weder Fischdampfer noch Frachtdampfer angeschafft. Deshalb waren sie nicht mehr konkurrenzfähig.

Am Strand im Jahre 1850

Sommerfrische

Ab etwa 1840 konnte man dank der Dampfschiffe von Hamburg, Harburg, Altona, Buxtehude, Stade und Glückstadt nach Blankenese schippern. Als die Eisenbahn 1867 nach Blankenese fertiggestellt  wurde,  war nicht mehr aufzuhalten, dass sich Blankenese einerseits zu DEM Naherholungsort, andererseits zu einem bevorzugten Wohngebiet entwickelte. Letzteres ist es bis heute geblieben. Eine neue Blütezeit begann. Die Seeleute konnten sicherer leben, kaum einer „blieb noch auf See“! Die Frauen fanden in Blankenese Arbeit und Tüchtige wurden sogar Unternehmerinnen. Wahre Ströme von Erholungssuchenden überschwemmten Strand und Hanggebiet an warmen Tagen. Inzwischen hießen die Jungen auch nicht mehr Claus, sondern Claus-Wilhelm, manchmal auch nur Wilhelm, denn der Kaiser wurde zum großen Vorbild. Schließlich hatte er gesagt: „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser.“ Mit diesem Satz traf er bei den Blankenesern ins Schwarze. 

Bahnhof in Blankenese 1890

Der Erste Weltkrieg und seine Folgen

Der Krieg, der so fröhlich begonnen hatte, endete mit einem Desaster. Er ging nicht nur verloren, sondern Deutschland musste 10% seines Gebiets mit 13% der deutschen Bevölkerung abgeben, die Kolonien gingen verloren und die Forderungen des Versailler Vertrags lösten eine tiefe Depression aus. Besonders in Blankenese, denn nicht nur die Kriegsflotte war abzuliefern, sondern auch alle Handeslschiffe über 1.600 BRT. Damit waren fast alle Blankeneser Seeleute arbeitslos. Bedingt durch Kriegsschulden und Inflationszeit kamen auch immer weniger Tagesgäste und Sommerfrischler. Die Einnahmen schmolzen auf ein Minimum. Man suchte Auswege. War das der Grund, warum man im Hanggebiet um 10 Prozentpunkte stärker nach rechts, also zu den Nazis tendierte, als in den Nachbargemeinden? Nach der Inflationszeit ging es  langsam wieder aufwärts. Beschlagnahmte Schiffe wurden den Alliierten abgekauft oder neue gebaut. Damit entstanden viele Arbeitsplätze. Bis zum Schwarzen Freitag von 1929. Die abermalige Depressionsphase machte es notwendig, die meisten Schiffe aufzulegen und deren Mannschaften zu entlassen. Wieder wurden die Blankeneser darin bestätigt, dass nur Radikale die Problemlösung bringen konnten. Deshalb wurde  die Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 von den allermeisten freudig begrüßt.

Gosslerhaus mit Geschütz auf dem Dach

Zweiter Weltkrieg

Auch in Blankenese wurden Juden, Jüdischstämmige und Andersdenkende verfolgt, kamen ins KZ oder mussten fliehen. Die materiellen Schäden des Krieges hielten sich zunächst in Grenzen. Dann kam der 3. März 1943. Für diese Nacht hatte die Royal Air Force einen Angriff auf Hamburg geplant, verwechselten aber das Ziel mit Wedel. Die kleine Stadt wurde zu Dreiviertel vernichtet, aber auch Rissen und Blankenese wurden getroffen. Das war kurz nach der Stalingrad-Katastrophe. Es folgte der deutsche Rückzug aus Afrika und das Ende der U-Boot-Schlacht im Atlantik. Nach den Gomorrha-Angriffen auf Hamburg vom Sommer ´43 wurde Blankenese überschwemmt von Ausgebombten, die entweder ein Dach über dem Kopf und/oder eine Bleibe für ihr Gewerbe suchten. Viele heute noch bekannte Betriebe fanden damals hier ein neues Zuhause.

Die Postruine

Nach Kriegsende stellten sich die materiellen und immateriellen Schäden in ihrem vollen Ausmaß heraus. Beinahe 650 Blankeneser waren gefallen, weit mehr verletzt. Viele mussten eine jahrelange Gefangenschaft über sich ergehen lassen. Einem Teil der jüdischen Bevölkerung war die Flucht gelungen, nachdem sie vorher ausgeplündert worden waren. Andere kamen ins KZ und wurden ermordet. Immerhin überlebten beinahe 20 von ihnen die Nazi-Zeit – mehr schlecht als recht – in Blankenese.

Die Nachkriegszeit war auch die Zeit der großen Wohnraumnot, des Hungers sowie der Kälte. Wieder wurden die wenigen funktionsfähigen Schiffe abgegeben, die Deutschland noch besaß, während die Wracks aus dem Hafen und der Elbe bei Taucher Harmstorf auseinandergeschweißt und als Schrott nach Britannien geliefert werden mussten. 

Nachkriegszeit

In den ersten Jahren nach dem Krieg wallfahrteten viele, viele  Hamburger an Sonntagen ins Treppenviertel von Blankenese, denn hier konnte man ein unzerstörtes Wohngebiet mit vielen Lokalen genießen. Auch wenn es kaum etwas zu essen oder trinken gab. Erst nach der Währungsreform von 1948 ging es wieder aufwärts. Abermals wurden Schiffe gebaut, Seeleute kamen wieder in Lohn und Brot und die Wirtschaft begann zu brummen.

Nach der Fresswelle brach die Mobilitätswelle an, man fuhr Motorrad, Auto, erkundete das, was von Deutschland übriggeblieben war, reiste nach Österreich und Italien. Blankenese aber wurde von motorisierten Ausflüglern immer öfter gemieden, weil es im Treppenviertel und am Elbstrand an Parkplätzen fehlt. Darunter hat die Gastronomie schwer zu leiden mit der Folge, dass von den über 50 Gaststätten und Restaurants von 1914 nur noch eine Handvoll übriggeblieben ist. Dafür konnte man mit dem Auto ganz neue Ziele entdecken.

Was jedoch blieb, ist die Fähre, die nach wie vor, wenn auch „tideabhängig“ Menschen über den Strom bringt, wie schon vor mehr als 5000 Jahren.

Maike und Ronald Holst (Okt. 2020)

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