Inklusion – einfach teilhaben in blankenese?
Inklusion – ein großes Wort. Kann sie gelingen? Wenn ja, wo und wie? Und wo sind der Inklusion und somit den Betroffenen Grenzen gesetzt?
Aus dem Leben der Kirchengemeinde Blankenese hat sich vor Jahren eine Gruppe „Du! mittendrin“ zusammengefunden. Die Fäden laufen bei Isod Bötzel zusammen. Ihr Sohn Johannes, heute 20, hat mit seiner Familie viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In einem Interview berichtet seine Mutter von Möglichkeiten und auch von Problemen. Alles inklusiv in Blankenese?
Blankenese.de: Was war der Anstoß zur Gründung dieser Gruppe „Du! mittendrin„?
Isod Bötzel: Schon seit langer Zeit hatte ich darüber nachgedacht, wie es möglich wäre, die Familien mit besonderen Kindern in Blankenese zu vernetzen. Unser Sohn Johannes war durch seine Geschwister und deren Freunde glücklicherweise immer „mittendrin“, auch in schwierigen Phasen, aber wir wünschten uns für ihn, dass auch unsere Gemeinde zu „seinem“ Ort werden könnte. Ein Ort, an dem Menschen mit Förderbedarf selbstverständlich ihren Platz haben und Angebote finden, die ihr Leben, d.h. Lernen, Freizeit, Arbeiten und idealerweise auch Wohnen gestalten und prägen. In der Gruppe du! mittendrin fanden sich Familien mit betroffenen Kindern und den gleichen Interessen zusammen.
Blankenese.de: Ohne das Bemühen um „Selbstverständlichkeit“ unter uns klein zu reden: Es soll ja so ein Ort werden, die Kinder sollen Angebote finden. Können Sie die Defizite, den Bedarf ein wenig näher beschreiben, z.B. in Sachen Lernen, Freizeit, Arbeit und idealerweise auch Wohnen?
Isod Bötzel: Das ist eine sehr komplexe Frage bzw. ein Zusammenspiel vieler Fragen und somit auch Antworten.
Für uns war damals die Wahl der Schule einfach. Es war klar, dass unser Sohn keine Regelschule besuchen konnte, und wir hatten das große Glück, einen Platz in der Raphaelschule in Nienstedten zu bekommen.
Heute ist die Auswahl viel schwieriger. Natürlich ist die Inklusion auch an Schulen eine sehr positive Entwicklung, aber ich bin davon überzeugt, dass es für manche Kinder besser ist, in einem geschützten Rahmen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln. Sonderschulen gibt es nicht mehr und auch selbst eine Einrichtung wie die Bugenhagenschule, wo die Inklusion wirklich gut klappt, kann nicht jedem Kind gerecht werden.
Im Freizeitbereich gibt es für besondere Kinder in Blankenese viel zu wenig Angebote. Natürlich kann jedes Kind alles ausprobieren, das wird den Eltern immer wieder versichert. Aber ein Kind, das z.B. mit 12 Jahren körperlich und/oder geistig z.B. auf dem Stand eines 5jährigen ist, kann nicht mit Gleichaltrigen Fußball spielen oder Musik machen. Wie soll das funktionieren? Das endet für beide Seiten in einem frustrierenden Erlebnis. Hier sind der Inklusion meiner Meinung nach eindeutig Grenzen gesetzt, die man akzeptieren muss und hier muss nach neuen Lösungen gesucht werden.
Arbeit – wenn die Schulzeit für die Kinder zu Ende geht, ist das fast ein Angst-besetzter Begriff. Wo können unsere Kinder hin? Wo werden sie gefördert und gleichzeitig geschützt? Wie finden sie überhaupt heraus, was ihnen Spaß machen könnte und dann – wo gibt es in so einem Bereich auch noch eine möglichst langfristige Arbeitsstelle. In einer Großstadt wie Hamburg gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich kompetente Hilfe zu holen. Leider reicht der Bereich für Praktikumsstellen und Arbeitsplätze nicht bis in den Hamburger Westen, so dass die jungen Menschen oft quer durch die Stadt fahren müssen. Es wäre wunderbar, auch in Blankenese mehr Arbeitsplätze für behinderte Menschen zu schaffen.
Und da, wo Menschen arbeiten, wollen sie natürlich auch wohnen. Ein Haus mit inklusivem Wohnraum mitten in Blankenese – das wäre ein Traum! So könnten die Kinder mit Förderbedarf vom Kindergarten an über die Schule, die Arbeitsplatzsuche, die Arbeitsstelle und die Wohnmöglichkeit ihren Platz bei uns im „Dorf“ haben. Sie hätten die Möglichkeit, selbständig und doch behütet und beschützt zu leben..
Blankenese.de: Das sind eine Reihe umfassender Punkte: Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Schule. Müssen sich nun alle Mütter, Väter, allein auf die Suche machen oder gibt es aus Ihrer persönlichen Erfahrung hilfreiche Adressen, die für Sie und Ihre Familie wichtig geworden sind? Oder regelt die Behörde alles?
Isod Bötzel: Ja, das sind umfassende Punkte, aber letztendlich doch die Themenbereiche, die ein Leben ausmachen und zwar unser aller Leben, nicht nur das der „Behinderten“. Für uns bzw. für unsere nicht beeinträchtigten Kinder ergeben sich diese Bereiche irgendwann von selbst. Nach der Schule kommt vielleicht ein Auslandsjahr, dann eine Ausbildung oder ein Studium, verbunden mit einer eigenen Wohnung und dann irgendwann eine im günstigsten Falle sinnbringende und erfüllende Arbeit, die man sich selber aussucht. Natürlich ist das auch nicht immer einfach, aber es besteht eine Wahlmöglichkeit, die Freiheit, selbst und selbstverständlich wählen zu können.
Diese Möglichkeit haben junge Menschen mit Förderbedarf nicht oder nur in eingeschränktem Maße. Viele dieser Jugendlichen haben Interessen, aber es gibt keine Ausbildungs- oder Arbeitsplätze, die ihren eingeschränkten Fähigkeiten gerecht werden. Jeder dieser einzelnen Lebensabschnitte ist mühsam, braucht Vor- und Nachbereitungen. Es ergibt sich nichts „von selbst“, als Eltern müssen und wollen wir uns darum kümmern, was allerdings auch oft mit Sorgen verbunden ist.
Es gibt Beratungsangebote, doch die muss man selber suchen – und es dauert oft sehr lange, bis man die richtigen Adressen findet. Von der „Behörde“ wird nichts geregelt, dafür sind vielleicht auch die Ansprüche zu individuell.
Für mich/uns war und ist es vor allem hilfreich, sich mit anderen betroffenen Eltern auszutauschen. Selbst wenn man sich inhaltlich gegenseitig nicht immer weiterhelfen kann, ist es doch schön zu sehen, dass man mit seinen Problemen und Fragen nicht allein ist. Für mich persönlich sind dieser Austausch und das wechselseitige Sich-Halten oft viel wichtiger als fachliche Auskünfte. Aus solchen Problemen ergeben sich immer wieder Ideen und gemeinsame Aktionen – aus genau solchen Gesprächen heraus ist unsere Gruppe ja auch entstanden.
Blankenese.de: Können Sie uns bei der Zusammenfassung helfen: Was ist und was könnte, müsste geschehen – von Seiten der Behörde, im Ort, von der Gesellschaft – um Teilnahme angemessen mit Leben zu füllen?
Aus meiner Erfahrung heraus wäre es am wichtigsten, Berührungsängste, die immer noch viele Menschen gegenüber Behinderten haben, abzubauen und eine Selbstverständlichkeit im Umgang herzustellen.
Isod Bötzel
Isod Bötzel: Aus meiner Erfahrung heraus wäre es am wichtigsten, Berührungsängste, die immer noch viele Menschen gegenüber Behinderten haben, abzubauen und eine Selbstverständlichkeit im Umgang herzustellen. Das heißt für mich nicht, dass Menschen mit Förderbedarf als „normal“ angesehen werden müssen, denn das sind sie nicht. Unser Sohn z.B. macht auch mit 20 noch komische Sachen, trägt etwas seinen Teddy überall mit hin (und bestellt sich mit dem Plüschtier im Arm dann ein Bier) oder guckt in alle Rohre und Gullis, weil die ihn ganz besonders interessieren. Natürlich wirkt das auf andere Menschen merkwürdig. Diese Merkwürdigkeit hinzunehmen, sie zu akzeptieren und manchmal auch auszuhalten, das ist für mich ein wesentlicher Bestandteil von Inklusion. Ich halte gar nichts von „Gleichmacherei“, alle Kinder und Jugendlichen sind unterschiedlich, auch alle behinderten Kinder und Jugendlichen. Sie unterscheiden sich untereinander und dann auch noch von der Allgemeinheit, das macht es schwierig.
Daraus ergibt sich auch das Problem, angemessene Freizeitangebote zu finden. Jedes behinderte Kind hat eigene Bedürfnisse, eigene Probleme und auch eigene Wünsche und Vorstellungen. Dem kann man in einer Gruppe oft gar nicht gerecht werden. So haben unsere inklusiven Langzeitangebote wie Fußball oder Musik auch nicht funktioniert. Kurze, überschaubare Projekte, in denen jeder seine Persönlichkeit entfalten konnte, wie z.B. Theater oder Malen wurden hingegen gut angenommen.
Ein neues Projekt unserer du!mittendrin-Gruppe ist die Anstellung eines Menschen mit Förderbedarf in der evangelischen Kirchengemeinde. Eine geeignete Person wird gerade vom Integrationsservice Arbeit (isa) der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gesucht, und unser Hausmeister in der Gemeinde, dem diese Person helfen soll, zeigt sich sehr offen, so ein Modell auszuprobieren.
Auch viele Geschäftsleute in Blankenese zeigen die Bereitschaft, Menschen mit Handycap in ihren Betrieb aufzunehmen. Es gibt viele Hilfsangebote, damit so ein Arbeitsplatz erfolgreich sein kann.
Offenheit, Toleranz, vielleicht auch ein großes Herz für Menschen, die es im Leben nicht so einfach haben, das wünsche ich mir im Rahmen der Inklusion. Oft sind diese Eigenschaften wichtiger als Maßgaben und Vorschriften der Behörden. Natürlich braucht es auch die, doch der persönliche Kontakt, das gegenseitige Kennenlernen lässt Berührungsängste und Vorurteile oft schnell vergessen.