„Drittes Reich“ und lokale „Volksgemeinschaft“

Neues Buch untersucht das Leben mit und im Nationalsozialismus

Blankenese und die Elbvororte im Hamburger Westen bilden den Schauplatz eines neuen Buches, in dem untersucht wird, wie sich das Leben und der Alltag im Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1939 entwickelt haben. Dabei werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, einzelne Gruppen wie die Gewerbetreibenden, aber auch Verfolgte des Regimes sowie wesentliche Institutionen wie Schule, Kirche und die örtliche Tageszeitung in den Blick genommen. Die Autorinnen und Autoren zeigen dabei die Menschen in ihrem vielfach ambivalenten Handeln zwischen Bejahung und Ablehnung und schildern die Konsequenzen, die daraus folgten.

Seit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler setzten die Nationalsozialisten alles daran, ihre Utopie einer „Volksgemeinschaft“ auf rassistischer Grundlage Wirklichkeit werden zu lassen. Entrechtung, Verfolgung und Vertreibung von politischen Gegnern, Juden und weiteren Minderheiten waren eine Konsequenz dieser Politik. Eindrücklich wird anhand von Einzelschicksalen wie dem von Ida Dehmel oder Günther Berendsohn beschrieben, wie all dies auch in Blankenese vor aller Augen stattfand. Darüber hinaus thematisiert das Buch die Versuche jüdischer Selbstbehauptung, wie sie in den landwirtschaftlichen Ausbildungszentren für die Emigration nach Palästina zum Ausdruck kommen.

Das gesellschaftliche Leben in Blankenese wurde von der NSDAP bis hinunter auf die Ebene der Haushalte neu organisiert. Viele Bewohner übernahmen dabei für die »Volksgemeinschaft« eine verantwortliche Funktion, z. B. als »Zellwalter« in der NS-Volkswohlfahrt, »Blockwart« im Reichsluftschutzbund oder »Scharführer« in der Hitlerjugend. Sie wurden dadurch zu Aktivposten der »Volksgemeinschaft«, ohne gleich Mitglieder der NSDAP zu werden oder deren Veranstaltungen zu besuchen. Organisationen wie die Kirchen und Schulen, Berufsgruppen und Vereine passten sich den neuen Verhältnissen an. Die Mehrheit der Bevölkerung machte bei der »Volksgemeinschaft« mit, es gab aber auch Menschen, die sich den an sie gerichteten politischen und gesellschaftlichen Erwartungen partiell verweigerten, ohne alles in Frage zu stellen, oder diese einfach ignorierten, solange es eben möglich war.

So war die generelle Zustimmung zur Diktatur im gesellschaftlichen Alltag nicht frei von Widersprüchen, Ambivalenzen und Entwicklung. Dass man zuerst hoffnungsvoll mittun, später auf Distanz gehen oder gleichzeitig den »Führerstaat« bejahen, zentrale Elemente von dessen Ideologie aber ablehnen konnte, verdeutlicht insbesondere die biografische Studie über den Blankeneser Pastor Richard Schmidt. Widerstand jedoch kam kaum auf. Die meisten Einwohner der Elbgemeinden waren mit dem Leben im „Dritten Reich“ und der „Volksgemeinschaft“ zufrieden, bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs blieb ihre Zustimmung zur Diktatur ungebrochen.

Jan Kurz u. Fabian Wehner (Hrsg.):

Blankenese im Nationalsozialismus 1933 – 39. Entrechtung, Volksgemeinschaft, Diktatur.
Edition Gezeiten. Schriften zur norddeutschen Kultur und Geschichte, Bd. 6.
KJM Buchverlag Januar 2021, 404 Seiten, 22,- €
ISBN 978-3-96194-118-6

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