Ein beschädigtes Menschenbild

Leonardo daVinci: Verkündigung, um 1472-1475 | Bild von Welcome to All ! ツ auf Pixabay

Braucht es eine wundersame Empfängnis, um den Menschen von der Erbsünde zu befreien?

MARIÄ EMPFÄNGNIS: Maria wurde frei von Erbsünde geboren – das feiert die katholische Kirche zu Mariä Empfängnis am 8. Dezember. Doch was heißt das eigentlich? Gedanken über ein Dogma, das viel Leid gebracht hat.

Von Hermann Häring

Hermann Häring, geb. 1937, Dr. theol., Prof. em. für Theologie und Wissenschaftstheorie an der Radboud Universiteit Nijmegen (Niederlande). U.a. interessiert an Fragen theologischer Hermeneutik, des interreligiösen Dialogs und kirchlicher Erneuerung; wissenschaftlicher Berater am Projekt Weltethos und ein Freund der ev. Kirchengemeinde Blankenese.

4.12.2022: Seit 1600 Jahren spielt im Christentum die Glaubenslehre von der Erbsünde eine wichtige Rolle; sie gilt als unverzichtbar. Gleichzeitig führte die Vorstellung, dass wir alle von Geburt an Sünder seien, zu demütigenden Heils- und Verdammungsängsten. Auch die aktuelle römisch- katholische Krise ist entscheidend durch dieses dunkle, traumatisierende Menschenbild geprägt und ohne seine Korrektur können wir diese nicht überwinden.

In der Bundesrepublik haben die Kirchenmitglieder einen Bevölkerungsanteil von 50 Prozent unterschritten; das Wort von der Säkularisierung ist in aller Munde. Die Gründe für diese Entwicklung sind komplex. Sie wird intensiv unter soziologischen, psychologischen und religionswissenschaftlichen Aspekten analysiert. Auch christlich theologische Überlegungen wären wichtig, denn sie könnten herausfinden, dass es nicht um einen Glaubens-, sondern um einen Kirchenverlust geht. Keine Entchristlichung, sondern Entkirchlichung ist angesagt. Wie nämlich verstehen die Kirchen ihre Botschaft? Wie reden sie von Hoffnung und Rettung, Scheitern und Unheil, Menschsein und Lebenssinn? Sollen sie sich mit den Austrittswellen wie mit einem gottgewollten Schicksal einfach abfinden? Schließlich ist die verbleibende Bevölkerungshälfte nicht das hilflose Opfer eines antichristlichen Tsunami, denn sie selbst sind ein einflussreicher Teil unseres säkularisierten Zusammenlebens. Dabei tun viele so eifrig wie erfolglos ihr Bestes. Doch die Gretchenfrage wird nicht radikal genug gestellt: Welche Bedingungen und Beigaben haben die christliche Botschaft in unserem Kulturraum zu einem Fremdkörper gemacht?

Der Bedeutungsverlust der Kirchen wurde nicht durch aktuelle Missstände, sondern ein zwiespältiges Menschenbild ausgelöst, das wir noch immer akzeptieren. Der Glaubenssatz von der Erbsünde behauptet, er könne plausibel die verheerende Rolle des Bösen in Menschheit und Welt sowie die grausamen Menschheitsschicksale mit dem Glauben an einen gütigen Gott versöhnen. Wie bekannt, spiegelt der biblische Mythos vom Urfall der Stammeltern und ihrer Vertreibung aus dem Paradies (vgl. Gen 3,1–24) die Grunderfahrung der Menschheit, dass sie durch eigenes Zutun unwiderruflich wie von einer Lawine des Bösen überrollt wurde. Es geht um Verfehlung und Unheil, Verführung und veruntreute Verantwortung, um Orientierungsverlust und die Mühsal des Lebens sowie um den Tod. Er handelt von einem kollektiven Menschheitsgeschick, von Gottes- und Sinnverlust, dem Verlust menschlicher Freiheit. Er thematisiert also ein existentielles und ur-religiöses Menschheitsthema überhaupt und kann deshalb vielfältig interpretiert werden. Wer wollte diesem urjüdischen Narrativ widersprechen?

Durch die Lehre der Erbsünde verliert die Paradiesgeschichte ihre symbolische Offenheit. Magische Vorstellungen sind nicht fern, dem Klerikalismus wird Tür und Tor geöffnet.

Paulus greift es auf, um dem Christentum den Weg zu den „Völkern“ zu öffnen (vgl. Röm 1,18–3,20). In seiner Verteidigungsposition argumentiert er hochpolemisch. Alle Menschen haben gesündigt, so dass sich auch kein thoratreuer Jude einfach gerecht nennen kann. Dabei fallen die Urteile über den „Fluch des Gesetzes“ grenzwertig aus. Zumindest missverständlich ist auch die paradigmatische Gegenüberstellung von Adam und Jesus Christus, den er als „zweiten Adam“ darstellt und so die Anteile von Unheil (Adam) und Heil (Christus) plakativ verteilt. Damit hat Paulus eine Dynamik gegen alle entfesselt, die nicht an Jesus Christus glauben. Man kann beobachten, wie die Welt allmählich in Verdammte und Gerettete eingeteilt wird; auch der spätere Antijudaismus zehrt von dieser Kampfposition.

Augustinus zieht die Schlinge zu, indem er alle Menschen zu Sündern von Geburt an erklärt. Wir alle haben schon „in Adam“ gesündigt (so die falsche Übersetzung von Röm 5,12), sind deshalb ein „verdammter Haufen“, dem Gott das Heil großzügig schenken, aber auch vorenthalten kann. Das Damoklesschwert der allgemeinen Verdammung geht in den dogmatischen Grundbestand des Glaubens ein. Gemäß dem Katechismus der Katholischen Kirche fehlt uns Menschen jede Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Damit ist das kirchliche Menschenbild vergiftet, die Paradiesesgeschichte verliert ihre symbolische Offenheit. Zugleich beginnt eine intensive Wechselwirkung mit der ebenso zwiespältigen Opfer- und Sühnetheologie, gemäß der Jesus Christus für unsere Sünden sterben muss. Ein sakrales Priesterbild schließt sich an, das wie ein Sog auf die heilsbedürftigen Sünder wirkt, denn nur die Priester und ihre Sakramente helfen uns in dieser verzweifelten Situation weiter. Magische Vorstellungen sind nicht fern, dem Klerikalismus wird Tür und Tor geöffnet.

Martin Luther entzaubert schließlich die sakrale Übermacht der kirchlichen Institutionen. Doch zugleich bestätigt er Augustins Sündenbewusstsein, das zur angstvollen Suche nach einem gnädigen Gott verinnerlicht wird. Auch jetzt leben die Menschen noch „ohne Gottesfurcht, ohne Vertrauen auf Gott und mit Begierde“, so die Augsburger Konfession von 1530. Der Konfessionsstreit, der danach losbricht, dreht sich nur noch um die Art, wie sich die Rechtfertigung vollzieht. Die Fragen nach der Berechtigung dieser These werden verdrängt und außerchristlichen Diskursen überlassen. Sie wird zu einem tabuisierten Erbe, das die Konfessionen bis heute verbindet.

Verschiedene Botschaften kommen also zusammen. Dazu gehört zunächst der realistisch heilsame, herausfordernde Mythos vom Verlust des Paradieses. Aber negative Elemente kommen hinzu: die scharfe Unterscheidung zwischen Erlösten und Sündern (Paulus), die Verdammung der gesamten Menschheit (Augustinus), eine geradezu magische Sühnetheologie sowie die Stabilisierung des Sündenbewusstseins ausgerechnet in der Neuzeit, die die Würde der Menschen neu entdeckt. In dieser Überlagerung von Kontexten führt der Erbsündenglaube schließlich zu einer allgemeinen Freiheits- und Weltangst, zur Angst vor Selbständigkeit und Autonomie, schließlich zu Sexualphobie und Frauenhass. Er entfaltet, psychoanalytisch gesprochen, eine zutiefst destruktive Wirkung (vgl. Drewermann, Pflaum u.a.), denn Individuen, Gemeinschaften, Kulturen und Welt sind nicht nur von Irrtum und Sünde bedroht, sondern immer schon in Besitz genommen. In katholischer und evangelischen Kirchen nimmt das Schuldbekenntnis einen überhöhten Stellenwert ein. Deshalb werden die Menschen auch von höherer Warte aus gesteuert, ihre Gewissen kritisch kontrolliert, notfalls bevormundet. Nicht grundlos wird oft der Vorwurf eines masochistischen, von Ressentiments durchzogenen Menschenbildes laut. Von der „Freiheit der Kinder Gottes“ ist wenig zu spüren.

Im römischen Katholizismus hat dieser Glaube zu einem massiven Klerikalismus geführt. Ihn steuert nicht ein banaler Machtwille, der einfach zu zügeln wäre, sondern ein verdinglichtes, nahezu magisches Verhältnis zu Sakramenten und den kirchlichen „Weiheämtern“. Schließlich muss eine Elite von Menschen herausgehoben sein, um kraft Amtes und besonderer Begnadung die Getäuschten zu belehren, die Verirrten zu führen und den Entheiligten ihre Gnade zu vermitteln. Doch diese überirdischen Heilsbringer – auch sie schließlich sündige Menschen – sind heillos überfordert, müssen ihre eigenen Grenzen verdecken. Diese Spannung wurde jahrhundertelang durch ein patriarchales Gesellschaftsmodell verdeckt. Gegenwärtig dokumentiert die Hierarchie, dass sie die spirituellen Gründe für diese Fehlentwicklung auch nicht ansatzweise erkannt hat, sie ist blind für die Zeichen der Zeit. Stattdessen ist ein System entstanden, das die überforderten Systemsprenger in Kontrollsucht und Übergriffigkeit hineinzwingt, dies mit den bekannten, vielfach dokumentierten Konsequenzen.

Wie können wir das Erbsündensyndrom überwinden?

Aus guten Gründen geriet die Erbsündenlehre selbst weitgehend in Vergessenheit; auch die Kirchen treten gerne positiv und rundum menschenfreundlich auf. Doch in den kirchlichen Traditionen und der offiziellen Liturgie, in Frömmigkeitsstilen und Texten, in Kirchenliedern und Gebeten ist der Erbsündenglaube noch tief verankert, in diffuser Weise allgegenwärtig. Er spielt seine unbewussten, nach wie vor zerstörerischen Wirkungen aus. Im Gegenzug hat das aktuelle Weltgespräch zu einem höchst sensiblen Bewusstsein von Menschenwürde und gegenseitiger Solidarität, zur Abwehr von Ausschluss und Diskriminierung geführt. Deshalb müssen die Kirchen um ihrer Glaubwürdigkeit willen aus ihren Menschenbildern alle störend inhumanen Kontexte eliminieren. Dazu gehören die antijüdische Polemik des Paulus, der zwanghafte Dualismus des Augustinus, die überheblichen Heilsansprüche des Katholizismus sowie die demütigende Heilsangst, die in vielen Kreisen wieder erstarkt ist.

Jesus wandte sich von den Strafandrohungen des Johannes des Täufers ab und ließ das Reich Gottes hier und jetzt bedingungslos beginnen; schon jetzt ist die Zeit erfüllt.

Ausgangspunkt des christlichen Menschenbildes muss die ungeschmälerte Freiheit sein, die ich nicht aufopfern kann, die sich aber in der Dialektik Luthers bewegt: Ein Christenmensch, so Luther, ist nicht einfach ein freier Herr über alle Dinge, sondern zugleich „ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“. Doch anderen vorbehaltlos dienen kann nur, wer dies in voller Freiheit und Zuwendung und ohne die Verzweiflung derer tut, die nichts als Verdammung verdienen. Die Kirchen können im Weltgespräch der Gegenwart nur bestehen, wenn sie ihr Menschenbild von allen vorausgehenden Schuldzuweisungen und von jeder Selbsterniedrigung befreien. Die Losung von der „Freiheit der Kinder Gottes“ muss zur Überwindung des Erbsündendogmas führen.

Doch das entscheidende Motiv für einen offensiven Abschied vom Erbsündendogma ist das befreiende und solidarische Menschenbild, an das uns die Geschichte Jesu von Nazareth erinnert. Er wandte sich von den Strafandrohungen des Johannes des Täufers ab und ließ das Reich Gottes hier und jetzt bedingungslos beginnen; schon jetzt ist die Zeit erfüllt (vgl. Mk 1,15). An die paulinische Rechtfertigungslehre erinnert allenfalls sein Gleichnis vom selbstgerechten Pharisäer, der Gott dafür dankte, dass er nicht so ist wie der Zöllner neben ihm. Jesus setzt sich leidenschaftlich ein für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, für die Ausgeschlossenen und die Verlorenen und hält die Menschen zu solchem Handeln für fähig. Dies lässt sich mit den erniedrigenden und destruktiven Beigaben des Erbsündendogmas nicht vereinbaren. Was aber bleibt vom Erbsündendogma dann übrig? Es ist, wie Hans Küng schon 1957 zeigte, das unbeschränkte Vertrauen auf Gott. Gott schenkte dem Abram sein Vertrauen, wie dieser Gott vertraute (vgl. Gen 15,6). So einfach kann die Rechtfertigungsbotschaft sein.

Die Überwindung dieses Erbes kostet intellektuelle, spirituelle und praktische Arbeit, denn indirekt spiegeln sich im verdunkelten Menschenbild der Kirchen die großen kulturellen Epochen, die das Christentum durchlaufen hat und mit denen es sich noch immer zu unkritisch identifiziert. Ich nenne den massiven Einfluss der hellenistischen Philosophie auf unsere Konstrukte von Gott und christlicher Erlösung, das von Opfer- und Sühnetheorien geprägte Mittelalter sowie die spätere Rechthaberei der Konfessionen, die sich noch immer im Besitz unverfälschter Wahrheiten wähnen. Die Kirchen müssen endlich lernen, mit diesen Traditionen souverän, also kontext-, kultur- und ideologiekritisch umzugehen. Sie sollten sich nicht mehr reflexhaft als die unverbrüchlichen Hüterinnen vergangener Entscheidungen präsentieren. Wenn sie sich nicht bekehren, wird ihr Bedeutungsverlust nur noch dramatischer, und diesem Urteil der Gesellschaft haben sie dann nichts mehr entgegenzusetzen. Die einzige Chance besteht darin, dass wir lernen, die Lehre von Gott, Christus und christlichem Heil neu zu buchstabieren. Diese Mammutaufgabe können die Konfessionen nur gemeinsam leisten.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Walter Lange am 08.12.2022 um 9:27

    Ich bin dankbar, dass blankenese.de diesen so wichtigen Artikel von Professor Häring veröffentlicht hat.

    Endlich spricht ein Theologe Klartext. Endlich räumt er mit dem auf, was immer weniger glauben, die Kirchen aber ohne Unterlass lehren: mit dem Erbsündendogma und dem Menschenbild, was sich dahinter verbirgt.

    Wir lernen: Paulus bedient sich eines Interpretaments, das sich aus der Tradition der Völker ableitet: Man konnte sich eine Gottheit nicht denken, die ohne Opfer zu gewinnen war. Augustinus hat diese Gedanken des Paulus verschärft: Die Menschen sind von Ewigkeit her zur ewigen Verdammnis bestimmt.

    Professor Häring widerlegt diese Gedanken, zeigt auf, dass sich dies nicht mit dem Menschenbild Jesu vereinbaren lässt.

    Die Konsequenzen sind dramatisch. Nicht für die Gläubigen, die sich längst verabschiedet haben, aber für die diejenigen, die dies unerlässlich, insbesondere im Gottesdienst, verkünden, genauer: von Amts wegen verkünden müssen.

  2. Veröffentlicht von Wolf-Dieter Hauenschild am 20.12.2022 um 14:01

    Kommentar zu „Ein beschädigtes Menschenbild“ von Herrmann Häring

    Ich begrüße es sehr, dass sich mit Herrmann Häring ein bekannter Theologe gegen das Dogma von der Erbsünde geäußert und festgestellt hat, dass dies und das daraus resultierende Menschenbild zu den Positionen gehören, welche die Menschen heute aus der Kirche treiben. Ich gestehe, dass ich selbst mit meinem Kinderglauben hiermit nie etwas anfangen konnte.

    In dem wunderbaren Mythos vom sogenannten Sündenfall ist von Erbsünde nicht die Rede. Im Gegenteil: Adam und Eva verstoßen zwar gegen ein göttliches Gebot, aber die angekündigte Sanktion bleibt aus: sie sterben nicht, sie müssen nur das Paradies verlassen, damit sie nicht auch noch vom „Baum des Lebens“ essen und dadurch das ewige Leben erlangen. Aber sie können nun Gutes von Bösem unterscheiden. Die weitere Strafe besteht darin, dass die Kinder unter Schmerzen zur Welt kommen und dass die Menschen das, was sie zum Leben brauchen, mit Mühe und Arbeit erringen müssen. Aber dies alles zusammen ist doch das, was den Menschen eigentlich ausmacht. Vielleicht überdehnt man die Erzählung nicht, wenn man sagt, dass Gott selbst damit die Erschaffung des Menschen vollendet hat.

    Ich bin zwar kein Theologe, aber nach meiner Kenntnis hat Jesus von Nazareth zwar von der Sünde, nicht aber von der Erbsünde gesprochen. Er hat sich im Gegenteil gerade der Sünder angenommen und in der Bergpredigt gesagt, wir sollten nicht über andere richten,- ein Gebot, das mir im Laufe meines Lebens immer wichtiger geworden ist. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wird dieser vom Vater mit offenen Armen empfangen, ohne dass es zuvor ein Sühneopfer gegeben hatte.

    Wenn Paulus dann mehr als eine Generation nach der Kreuzigung Jesu unter Bezugnahme auf den Mythos vom Sündenfall Adams die Vorstellung von der alle Menschen betreffenden Erbsünde entwickelt, von der dann die Gläubigen durch das Sühneopfer Christi befreit werden, so kann er sich jedenfalls nicht auf die Erzählung in der Genesis berufen und auch nicht auf das, was Jesus gelehrt hat. Es ist seine eigene Erfindung.

    Diese Erfindung mag zu seiner Zeit Paulus bei seiner Missionierung sehr geholfen haben. Sie hat vor allem aber die Macht der Kirche über die Gläubigen enorm gestärkt. Denn nur die Kirche verfügt ja über die Mittel, um die Menschen aus ihrer Sündhaftigkeit zu erlösen.

    Ich bin der Überzeugung, dass ich dies auch als Christ nicht glauben muss. Das was wir von dem wissen, was Christus selbst gesagt und gelehrt hat, vor allem, dass Gott die Menschen wie ein Vater liebt, ist gerade auch heute noch so überzeugend und anregend, dass Menschen sich davon begeistern lassen und sich bemühen, ihr Leben daran auszurichten. Für mich jedenfalls ist der Weg zu Gott, den Christus aufgezeigt hat, der überzeugendste.

    Gott hat den Menschen aus dem Paradies in die Welt und damit auch in die Freiheit entlassen. Mit dem Wissen um Gut und Böse muss der Mensch die Verantwortung für sein Leben übernehmen. Er kann sich dabei auch gegen Gottes Gebote und damit für das Böse entscheiden. Das geschieht ja nach der Erzählung auch gleich, indem berichtet wird, wie Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Gott verhindert das nicht. Er zwingt nicht dazu, seine Gebote zu befolgen. Er sagt mir mit ihnen nur, was ich tun sollte. Eine Sanktion wird in den Geboten nicht angedroht. Ob ich mich also an die Gebote halte und entsprechend handele, ist meiner eigenen freien Entscheidung überlassen.

    Wenn es keine Erbsünde gibt, muss auch Maria nicht frei davon sein. Dann bleibt die weitere Frage, wie sie Jesus empfangen hat. In Würzburg haben wir dazu an einer Kirche ein mittelalterliches Relief gesehen: Gott sitzt auf seinem Thron, darunter befindet sich Maria; von Gottes Mund verläuft eine Art Schlauch zu Marias Ohr; so wird Jesus durch Gottes Wort gezeugt. Aber müssen wir wirklich in jedem Gottesdienst bekennen „…geboren von der Jungfrau Maria…“, was viele nicht mitsprechen? Kann Jesus nicht wie ein Mensch geboren worden sein?

    In einem Punkt möchte ich allerdings Herrn Häring widersprechen. Gerade weil all das, was mit der Erbsünde zusammenhängt – der Sühnetod Christi, Befreiung von Sünde und Tod, Jungfräulichkeit Marias, Wesenheit Jesu – in der jahrtausendalten Tradition der Kirche und auch in unserer Kultur lebt, sollten wir jetzt nicht wie Bilderstürmer uns von alldem befreien. Wir sollten denen, die weiterhin daran glauben, ihren Glauben belassen. Mir würde es reichen, wenn es von der Kirche und den Gläubigen akzeptiert wird, dass es Christen gibt, die all das nicht mehr glauben können und das auch offen sagen dürfen als Mitglieder der Kirchengemeinde, getreu dem Spruch von Paulus, der auf dem Grundstein unseres Gemeindehauses steht
    „Wo aber der Geist Gottes weht, da ist Freiheit“

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