Frisch gedruckt: Blankenese, Licht und Schatten

Der neu erschienene historische Roman von Michaela Grünig „Blankenese. Zwei Familien – Licht und Schatten“ entführt seine Leserinnen und Leser in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis 1939. Bei der Recherche zu ihrem fast 500 Seiten starken Wälzer arbeitete die Autorin eng mit dem „Förderkreis historisches Blankenese“ zusammen

Auf den ersten Blick ist die Liebesgeschichte von Leni, der Halbwaise einer Kapitänsfamilie aus dem ärmlichen Treppenviertel, und John, Spross einer alteingesessenen Reederfamilie mit prachtvoller Villa an der Elbchaussee, ein wenig zu kitschig und klischeebehaftet. Blutjunges, hübsches Mädchen heiratet vermögenden Erben und wird an seiner Seite zur starken, mutigen Frau der Hamburger Gesellschaft – dieser Plot ist zu simpel, um wirklich gut zu sein.

Das ungleiche Paar bildet auch nur das Korsett für die Schicksale der weiteren Familienmitglieder, die zwischen der wirtschaftlichen Not der 20er Jahre, politisch extremen Strömungen, geschickt eingefädelten Intrigen, zunehmend nationalsozialistischer Gesinnung und offen gezeigtem Antisemitismus ein Spiegelbild der Gesellschaft der angespannten, von massiven gesellschaftlichen Umwälzungen geprägten Jahre sind.

Dabei kehrt sich im Laufe der Handlung das ungleiche Bild von Leni und John um. Als deutsche Frau wird sie neben ihrem halbjüdischen Ehemanns zusehends zur wichtigsten Frau der beiden gegensätzlichen Familien, erlebt direkt die Repressalien gegen jüdische Mitbürger und die Folgen der Reichspogromnacht für die Familie ihres Mannes, bleibt aber vorerst unbelastet von der systematischen Verfolgung der Juden in Hamburg.

Michaela Grünig bindet in ihren opulenten Roman, der nur den ersten Teil einer Familiensaga bildet, geschickt die politischen Ereignisse in Blankenese ein und beweist dabei eine sehr gute Kenntnis der Blankeneser Geschichte. Vor allem wird deutlich, wie groß in dem ehemaligen Fischerdorf die Begeisterung für völkische Parteien und die immer stärker werdenden Nationalsozialisten war. Abgesegnet vom damaligen Pastor, der in seinen sonntäglichen Predigten die Maßnahmen der neuen Machthaber legitimierte, dokumentiert in den „Norddeutschen Nachrichten“.

Der große historische Sachverstand und die Einbindung realer Personen und ihres Wirkens zeichnen den Roman aus. Eine Schlüsselrolle kommt dem Bankier Max Wehrmann zu Gute, im Roman Patenonkel von Reedereispross John Casparius. Diese Figur ist eng an Max Warburg angelehnt, der mit großem persönlichen Einsatz über 75.000 Jüdinnen und Juden bei der Auswanderung aus dem nationalsozialistischen Deutschland half.

Bevor sich Michaela Grünig ans Schreibens ihres dicken Wälzers machte, besuchte sie das Warburg-Archiv am Kösterberg. Eine unerlässliche Hilfe bei der Entwicklung der Geschichte war für sie zudem der Blankeneser Historiker Dr. Jan Kurz, der mit dem Förderkreis historisches Blankenese die Geschichte des Ortes sehr fachkundig und umfassend dokumentiert hat und ihr immer als versierter Ansprechpartner zur Verfügung stand. Die von ihm mit herausgegebenen Bücher sind in der Edition Gezeiten im KJM-Verlag erschienen und ein Muss für jeden historisch interessierten Blankeneser.

Fazit: „Ein Buch zum Wegschlabbern“, um einen bekannten Boulevard-Journalisten zu zitieren. Die Sympathie mit den einzelnen Protagonisten und die Schicksalschläge, die sie erleiden müssen, haben genug Anziehungskraft, um das Buch in wenigen Stunden durchzulesen. Es schließt mit einem offenen Ende, Michaela Grünig arbeitet bereits an der Fortsetzung. Selten war es so spannend und unterhaltsam, sich mit der jüngeren, nicht immer ruhmreichen Geschichte unseres Ortes auseinanderzusetzen.

Ob es nötig war, in dem Roman immer wieder plattdeutsche Ausdrücke einzuflechten, bleibt fraglich. Der gerne von den Figuren verwendete Gruß „Moin Moin“ war in Blankenese nicht üblich, mit einem schlichten „Tach“ oder einfachem „Moin“ hatte man sich auf den Treppen schon genug gesagt. Und auch das im Buch verwendete „Botterbroot“ wäre korrekter mit einem weichen „d“ am Ende. Schön ist dagegen, dass Leni mit ihrer Familie in einem für den Elbhang typischen Tweehus wohnt.

Am 25. Januar wurde das Buch zusammen mit der Autorin und Dr. Jan Kurz in der Buchhandlung Heymann am Blankeneser Bahnhof vorgestellt. Moderatorin der bereits lange im Vorfeld ausgebuchten Lesung war Anouk Schollähn. Offizieller Erstverkaufstag für das Buch ist am 27. Januar 2023.

Michaela Grünig
Blankenese – Licht und Schatten
Roman
Lübbe Belletristik
Paperback
496 Seiten
ISBN: 978-3-7857-2817-8
16,00 Euro

4 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Ute Antonius am 26.02.2023 um 20:13

    wird es einen Teil 2 geben?

  2. Veröffentlicht von Cuberovic andrea am 25.03.2023 um 16:17

    Sehr spannend wann kommt die fortsetzung

  3. Veröffentlicht von Ilse von Spreckelsen am 15.10.2023 um 15:56

    Die ersten Kapitel waren für mich ein modernes „Aschenputtel-Märchen“ . Ich habe es auch in kurzer Zeit durchgelesen. Obwohl mich schon gestört hat, dass die Autorin sämtliche Klischees, von arm bis reich, von Nazis über Juden, von Herero über Mordversuch, von der Weimarer Republik über Kommunisten usw, usw bedient hat. Die Recherchen waren sicher gut, aber dennoch alles ein bisschen „Lore-Roman“ für mich.

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