„Gemeinsam statt einsam“ – Ein Gespräch im Pflegeheim Schillingstift
„Gemeinsam statt einsam“ – so lautet der Leitspruch im Schillingstift, einem christlichen Pflegeheim in Blankenese. Corona hat die Gemeinsamkeit im März abrupt beendet und die alten Leute in die staatlich verordnete Isolation geschickt, um sie zu schützen. Was dieser Lockdown für die Pflegekräfte und die Bewohner und Bewohnerinnen bedeutete, hat Vera Klischan mit Ilka Bressem, der Geschäftsführerin des Stiftes, und Andreas Sauerbier, dem Pflegedienstleiter, besprochen.
Liebe Frau Bressem, Sie leiten das Schilling-Stift. Wie viele Bewohner sind hier zurzeit?
IB: Wir haben 126 Zimmer im Stift. Aktuell leben hier 122 Menschen.
Was sind Ihre Aufgaben?
IB: Als Geschäftsführerin bin ich verantwortlich für die gesamte Verwaltung der Schilling-Stiftung und als Einrichtungsleitung kümmere ich mich unter anderem um die Gesamt-Organisation und Öffentlichkeitsarbeit.
Worum kümmern Sie sich, Herr Sauerbier?
AB: Ich bin der Pflegedienstleiter, kümmere ich um die Organisation der Pflege und der Haustechnik. Der gesamte Bereich der Pflegedokumentation und der Pflegequalität gehört ebenfalls in meinen Aufgabenbereich.
Ist das Schillingstift ein reines Pflegeheim?
IB: Ja! Jeder Bewohner hier im Haus hat einen Pflegestatus.
Wie wirkt sich die Corona-Krise in Ihrem Heim aus? Zu Beginn und bis heute?
IB: Zuerst war es ein Schock für alle! Keine Veranstaltungen mehr, alle Bewohner blieben in ihren Zimmern bzw. Wohnbereichen. Einige gingen vorher gern in die Cafeteria. Aber auch das war nicht mehr möglich. Die Türen für Angehörige waren geschlossen, Besuch durfte nicht mehr empfangen werden.
AS: Zum Beginn des Besuchsverbotes ließ ich eine Trennwand aus Plexiglas bauen. Der Besuch saß außen auf der Terrasse, der Bewohner im Innern – beide getrennt durch die Scheibe. Zur besseren Akustik habe ich Löcher in die Wand gebohrt und diese mit Folie versiegelt. So haben wir im Haus nach kreativen Lösungen gesucht.
IB: Später haben wir Besuchsräume in drei Bereichen eingerichtet. Die Organisation war sehr herausfordernd, da jede Woche nur ein vorher klar bestimmter Angehöriger für eine Stunde kommen durfte. Diese Regelung war zum Teil für die alten Leute nicht nachvollziehbar. Auch die Maskenpflicht war und ist schwierig, vor allem für die dementen Bewohner, da jegliche Mimik fehlt. Auch für die Mitarbeiter bedeutet das ständige Tragen der Maske eine schwere Beeinträchtigung. Einige waren derart angestrengt, dass sie krankgeschrieben wurden.
AS: Für uns in der Leitung waren in den ersten vier bis sechs Wochen die sich täglich ändernden Rahmenbedingungen vom Senat eine große Herausforderung. Dazu kamen die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Schutzausrüstung, z.B. Masken und Desinfektionsmittel. Noch immer ist es schwierig, Kittel zu bekommen. Außerdem sind die Preise völlig überhöht.
IB: Inzwischen sind viele Einschränkungen nicht mehr so einschneidend und die Bewohner freuen sich darüber, wieder Besuch – wenn auch mit Maske und auf Abstand – zu erhalten.
Der Tod kümmert sich nicht um einen Lockdown. Wie sind Sie während der harten Beschränkung mit sterbenden Bewohnern umgegangen?
IB: Da durften die Angehörigen unter hohen Hygieneauflagen kommen, die Sterbenden begleiten und Abschied nehmen.
Wenn ganze Heime unter Quarantäne gestellt werden, dann bedeutet das letztlich, dass Infektionen nur von Mitarbeitern ins Haus getragen werden können. Wie gehen Ihre Mitarbeiter mit dieser Belastung um?
IB: Für einige war das schwierig. Alle mussten privat aufpassen, sich nicht anzustecken. Größer war die Belastung im Haus durch die Kontaktsperre. Die Mitarbeiter mussten auf körperliche Nähe zu den alten Menschen verzichten, zugelassen war lediglich die medizinisch notwendige Zuwendung. Die Veränderung, die sich bei den Bewohnern durch den Lockdown bemerkbar machte, belastet auch das Personal.
Die Bewohner müssen aufgrund der Kontaktsperre zur Außenwelt auf ihre Angehörigen und Freunde verzichten. Wie empfinden das die alten Leute?
IB: Die Kontakte waren anfangs auf Telefonate oder später Anrufe über Skype und seltene Treffen am Kontaktfenster reduziert. Es fehlten die Besuche und damit auch die körperliche Nähe. Einige Bewohner zeigten daraufhin Verhaltensauffälligkeiten und wurden unruhig oder depressiv. Einige wollten nicht mehr essen und trinken. Auch Aggressivität selbst dem eigenen Besuch gegenüber haben wir festgestellt. Einige konnten die veränderte Situation gar nicht verstehen und zeigten deswegen diese Auffälligkeiten.
Können Sie das Fehlen der Besuche mit Ihrem Personal kompensieren?
IB: Nur teilweise! Wir haben es versucht. Psychisch ist es uns nicht gänzlich möglich gewesen. Zumal auch das Personal reduziert war durch Zugehörigkeit zur Risikogruppe. Das galt auch für die so wichtige soziale Betreuung. Daher konnte nicht alles aufgefangen werden.
Die ersten drei Wochen waren am schlimmsten, eine maximale Belastung für das Personal. Aber es gab auch gute Seiten. Angeblich sei das Essen noch besser geworden, sagen die Bewohner.
Vieles von dem, was im Schilling-Stift an Veranstaltungen geboten wird, kommt daher aus der Kasse des Freundeskreises oder wird durch andere Spenden finanziert.
Ilka Bressem
Gibt es Bewohner, die trotz Familie völlig allein gelassen werden?
AS: Ja, die gibt es, aber es sind sehr wenige! In solchen Fällen organisieren wir Kontakte zu Ehrenamtlichen Begleitern, die dann zu regelmäßigen Besuchen kommen, sofern das von den Bewohnern gewünscht ist.
Welche Möglichkeiten haben Sie genutzt, um den Bewohnern den Alltag zu erleichtern?
IB: Als Höhepunkte der Woche fanden regelmäßig mittwochs und sonntags Gartenkonzerte statt, denen die Bewohner an den Fenstern und auf den Balkonen folgen konnten. Die Betreuungskräfte haben sehr viel Einzelbetreuung geleistet oder in Kleingruppen mit dem nötigen Abstand Abwechslung in den Alltag gebracht. Ganz wichtig war auch die Telefonbrücke, die unsere Mitarbeiterin Frau Engler eingerichtet hat. Aus dem Homeoffice hat sie sehr viele Telefonate mit den Menschen im Stift geführt und dokumentiert. Sie hat damit die seelsorgerische soziale Betreuung, so gut es ging, gesichert.
Welche Rolle spielt das Ehrenamt?
IB: Eine ganz große!! Zum einen ist es nur mit Hilfe der Ehrenamtlichen möglich, die organisatorisch aufwendige Besuchsregelung umzusetzen. Die zusätzliche Dokumentation der Besuche übersteigt die zeitlichen Kapazitäten unseres hauptamtlichen Personals. Und natürlich ist die ehrenamtliche Hilfe auch enorm wichtig für das soziale Leben im Haus. Vor Corona veranstalteten Ehrenamtliche unter Anderem vor allem zusätzliche Spiele- und Gesangsrunden und den wöchentlichen sonntäglichen Gottesdienst. Und nun während dieser Corona-Krisenzeit werden viele der Gartenkonzerte und vierwöchentlich der Gottesdienst im Garten ehrenamtlich geboten!
Kann es sein, dass für manche Bewohner die Isolation belastender ist als der Gedanke an den Tod?
IB: Ja, das ist möglich. Für viele ist der Kontakt zu den Angehörigen das wichtigste.
Hat die mediale Information der vielen Todesfälle in Altenheimen den Druck auf Ihre Arbeit erhöht?
IB: Nein, das war nicht der Fall. Aber die Ernsthaftigkeit der Gefahr wurde uns dadurch sehr deutlich.
Gibt es einen Freundes- oder Förderkreis für das Schilling-Stift, der es Ihnen ermöglicht, Dinge „außer der Reihe“ zu finanzieren, z.B. Konzerte, letzte Wünsche
IB: Es gibt den Freundeskreis Schillingstift e.V. Er finanziert zusätzliche Busreisen, Konzerte und manche Anschaffungen. Im vergangenen Jahr wurden 80% der Veranstaltungen vom Freundeskreis bezahlt. Er ist aber nicht nur eine finanzielle Hilfe, sondern auch im Stift präsent. Einige Mitglieder teilen z.B. bei Veranstaltungen die vom Freundeskreis angeschafften Hörhilfen an die Bewohner aus.
Wenn Sie bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Wunsch frei hätten, wie sähe der aus mit Blick auf Alten- und Pflegeheime?
IB/AS: Eine bessere Bezahlung für alle, die im Stift arbeiten, wäre deutlich mehr Wertschätzung der Arbeit. Es sollte nicht sein, dass große Konzerne steuerlich verschont werden, wir von den Kostenträgern (Sozialhilfeträger und Pflegekassen) in den Pflegeeinrichtungen aber gehalten sind, die Kosten auf ein nicht näher definiertes absolut notwendiges Maß zu reduzieren. Die Kostenträger vereinbaren mit uns Pflegesätze und Preise für Unterkunft und Verpflegung, die nicht alle tatsächlichen Kosten abdecken. Die Pflegeversicherung der Bewohner kommt ja nur für einen Teil der vereinbarten Kosten für die Pflege auf. Den Rest und die vereinbarten Kosten für Unterkunft und Verpflegung und für die Investitionskosten tragen die Bewohner oder bei Bedarf der Sozialhilfeträger. Alle aus Sicht der Kostenträger nicht absolut notwendigen Ausgaben müssen durch zusätzliche Einnahmen finanziert werden. Vieles von dem, was im Schilling-Stift an Veranstaltungen geboten wird, kommt daher aus der Kasse des Freundeskreises oder wird durch andere Spenden finanziert. Das sollte aus meiner Sicht aber kein Luxus sein, sondern Normalität für unsere Bewohner.
AS: Zweimal jährlich wird eine „Prüfung der Pflege und Dokumentation“ vorgenommen. Wir wünschen uns, dass nicht nur nach Datenlage beurteilt wird, sondern mehr durch persönliche Besuche. Aber das ist schon besser geworden.
Die Pflegekräfte freuen sich sehr auf den Bonus von 1500 Euro je Vollzeitstelle, der im Juli kommt.
Es gibt einfach deutlich zu wenig Pflegefachkräfte. Bei den Hilfskräften sieht es besser aus, aber die Fachkräfte fehlen.
Andreas Sauerbier
Sie machen hier alle eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Woraus schöpfen Sie Kraft? Welches sind die beglückenden Aspekte?
IB: In erster Linie aus dem Glauben! Wir sind ein christliches Haus, wofür ich sehr dankbar bin. Und wenn es den Bewohnern gut geht, wenn sie uns ein dankbares Feedback geben, ist das für uns eine große Kraftquelle. Auch die persönliche Bindung an manche Bewohner ist beglückend.
Lieber Herr Sauerbier, Sie sind Pflegedienstleiter im Stift. Finden Sie genug Mitarbeiter?
AS: Schwer, sehr schwer!! Wenn jemand gut zu uns passt, kommt er trotzdem nicht immer, weil er oder sie einen noch besseren Arbeitsplatz oder näher am Wohnort findet. Es gibt einfach deutlich zu wenig Pflegefachkräfte. Bei den Hilfskräften sieht es besser aus, aber die Fachkräfte fehlen.
Gibt es Mitarbeiter aus der so genannten Risikogruppe, die Sie nicht einsetzen konnten?
AS: Eine Zeitlang, ja. Jetzt sind alle wieder da. Sogar eine 80-jährige Mitarbeiterin macht eine großartige Arbeit.
Aus wieviel Nationen kommen Ihre Mitarbeiter?
AS: Aus der ganzen Welt! Aus ca. 44 Ländern! Es gibt kaum noch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in Deutschland geboren sind. Das macht es manchmal sprachlich schwierig. Wir bieten wenn nötig einen Deutschkurs an, weil die sprachliche Verständigung zwischen den Bewohnern und den Pflegekräften ungemein wichtig ist.
Was ist die wichtigste Voraussetzung für die Altenpflege? Worauf achten Sie im Vorstellungsgespräch ganz besonders?
AS: Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl, das mir sagt, ob jemand zu uns passt. Empathie, Kommunikation sind ganz wichtige Kompetenzen. Versteht der Bewerber, die Bewerberin mich? Wie stellt sich jemand selber dar? Das sind wichtige Fragen im Bewerbungsprozess. Gute Zeugnisse sind nicht allein entscheidend. Aber natürlich müssen wir Kompromisse machen angesichts des Fachkräftemangels.
Eine letzte Frage: Wünschen Sie sich mehr gesellschaftliche Wertschätzung für Menschen in der Altenpflege, die eine so unerlässlich wichtige Arbeit leisten, mehr als nur „systemrelevant“ zu sein?
AS: Ja! Einerseits erleben die Pflegekräfte oftmals Respekt vor ihrer Leistung, doch gleichzeitig begegnen ihnen die Mitmenschen mit der inneren Haltung „Immer nur Bettpfannen ausleeren – das könnte ich nicht“ – als ob dies die Hauptarbeit in der Pflege wäre! Eine ausdrückliche und ehrliche Wertschätzung fehlt auch gegenüber den Reinigungs- und Küchenkräften gleichermaßen. Sehr viel Anerkennung habe ich hingegen für die regelmäßige Information während des Lockdowns bekommen: einmal in der Woche habe ich die Angehörigen per Mail über alle relevanten Dinge im Haus informiert.
Liebe Frau Bressem, lieber Herr Sauerbier, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!