Mit Goethe im Hospiz

Seit fünf Jahren engagiert sich Vera Klischan ehrenamtlichen im Hospiz von Hamburg Leuchtfeuer mitten auf dem Hamburger Kiez. Für blankenese.de hat sie aufgeschrieben, wie bereichernd sie ihre Besuche im Hospiz und die Begegnung mit den Menschen findet. Und wie sich durch die Begleitung von Frauen und Männern in ihren letzten Lebenswochen auch ihre Einstellung zum Tod verändert hat

Foto: pixabay

 „Warum machst du nichts Fröhliches?“ wurde ich oft gefragt, als ich 2012 meine Ausbildung zur Sterbebegleiterin in der evangelischen Gemeinde Blankenese bei Annette Hecker gemacht habe. Eine Ausbildung, die mir Mut gemacht hat, mich mit meinen eigenen Ängsten und Vorstellungen vom Tod auseinanderzusetzen. Eine Ausbildung, für die ich bis heute sehr dankbar bin. 

Mehr als ein Ort der Trauer

Als ich 2015 in Pension gegangen bin, war das Emmaus Hospiz in Blankenese noch nicht eröffnet. Da ich gute Kontakte in das Hospiz „Leuchtfeuer“ hatte, begann ich dort mein ehrenamtliches Engagement und begleite seitdem Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Fröhlich ist es nicht immer – im Gegenteil! Sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, das Ende seines Lebensweges vor sich zu sehen, erfordert Kraft, Mut, nichts mehr zu verdrängen, und die Ehrlichkeit, Abschied zu nehmen. Und trotzdem – das Hospiz ist neben der Trauer auch ein Ort der Freude, des Genusses, der heiteren Begegnung und der neuen Freundschaften im Angesicht des eigenen Endes. 

Tapas und Interviews

„Wir haben heute spanischen Tag“ schallte es mir von einer Bewohnerin fröhlich und gut gelaunt entgegen. Der Koch hatte eigens für sie eine Tortilla gezaubert. Erinnerung an Urlaube in Spanien, gemeinsame Erlebnisse mit der Familie wurden wach. Diese Bewohnerin war es auch, die mir voller Stolz ein Interview mit ihr in der Zeitschrift „Barbara“ zeigte. Sie hatte nicht nur genau bedacht, was sie dem jungen Journalisten erzählen wollte, auch die Frage des richtigen „Stylings“ wurde ausgiebig diskutiert. Bei dem Interview sind unglaublich schöne und innige Fotos mit der Enkelin entstanden, die mich bis heute rühren und an eine Frau erinnern, die mit großer Lebenskraft ihre letzten Wochen im Hospiz ausgekostet hat. Sie hat bis zum letzten Tag gelebt – im besten Sinn. 

Klassische Musik und Goethe

Ein alter Herr – ein wirklicher Herr – wünschte sich von mir, Klassiker vorgelesen zu bekommen. „Das ist meine Welt“, sagte er mir und das soll sie auch bleiben bis zum Abschied. Erfüllt von klassischer Musik betrat ich jedes Mal sein Zimmer und las ihm Kapitel aus dem Buch „Goethes Freunde in Gotha und Weimar“ vor. Beglückt schlug ich jedes Mal das Buch zu und freute mich bereits auf die Fortsetzung unserer gemeinsamen Lesestunde. 

Eine sehr betagte und sehr leidende Dame fragt mich vor Monaten, warum sie nicht gehen darf. Sie habe schwere Schmerzen, keine Aussicht auf Besserung und wünsche sich nichts so sehr wie Erlösung. Da fallen Antworten schwer, Trostworte verhallen leer in meinem Kopf. Das einzige, was ich bieten kann, ist Verständnis und Beistand. Es erscheint mir so wenig zu sein angesichts der Dimension des Todes – und doch ist es vielleicht – hoffentlich – die einzige wirksame Währung, die ich in solchen Momenten in der Hand halte. 

Ort der liebevollen Begleitung

Warum mache ich das? Weil es beglückende, bereichernde, anrührende Begegnungen mit Menschen sind, die mir zunächst fremd sind, die mir aber am Ende ihres Lebensweges großes Vertrauen, Einblicke in ein oft langes Leben und große Nähe schenken. Erfahrungen, für die ich zutiefst dankbar bin und die mein Verhältnis zum Tod verändert haben. Ich erlebe ein Hospiz als Ort der liebevollen Begleitung in den letzten Lebenswochen, in dem Weinen und Lachen Platz haben, in dem nichts falsch ist, in dem Menschen arbeiten, denen ich mit größer Hochachtung vor ihrer Arbeit begegne. Ganz egal, ob auf der Reeperbahn oder in Blankenese! 

Im Grunde mache ich es für mich, weil ich so viel dafür bekomme, und dafür bin ich sehr dankbar!


Eine Führung durch das Emmaus Hospiz

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