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Natur als Wertstandard

Natur als Wertstandard

Das jetzige Geldsystem kann und muss geändert werden – Autor: Harris C.M. Tiddens

Die Bewohnbarkeit der Erde hängt von intakten Naturräumen ab. Warum zerstören wir Menschen sie trotz aller guten Vorsätze unaufhaltsam weiter? Wir können die Ursache mit drei einfachen Maßnahmen ändern, aber um das in Gange zu bringen, müssen wir erst die Fehlkonstruktionen unseres heutigen Geldsystems als Hauptursache begreifen.

Tiddens

Elf Jahre lang habe ich in, für und mit Blankenese daran gearbeitet, den ökologischen Fußabdruck des Stadtteils zu verkleinern.
Doch sowohl diese Arbeit als auch meine weiteren Forschungen haben erschreckend deutlich gemacht, wie langsam sich die städtische und post-urbane Gesellschaft in Richtung eines nachhaltigen Verhaltens bewegt.

Woran liegt diese verheerende Trägheit?

Um sie zu beurteilen, betrachten wir in der Regel die Eigenschaften der genutzten Güter, die Produktionsformen, den Naturverbrauch und die Dienstleistungen.
Anschließend versuchen wir, die beteiligten Mengen und ihre Auswirkungen zu messen,
um dann Verhaltensänderungen, auch durch Gesetze, herbeizuführen.

Der Widerstand dagegen ist enorm. Gewohnheiten sind stark und nicht leicht zu ändern. Schließlich müssen Menschen, Unternehmen, Verwaltungen usw. von der bestehenden Wirtschaft leben, die diese Produkte und Dienstleistungen hervorbringt.

Welche Aufgaben hat die Wirtschaft? Es gibt eine gut beschriebene Forderung, die besagt, dass sie nur zwei Aufgaben zu erfüllen hat: Die Versorgung der Menschen und die Einhaltung der Tragfähigkeitsgrenzen der Ökosysteme. Die erste Aufgabe gelingt recht gut. Die Forschung in der durch Geld getragene Gesellschaft zeigt jedoch, dass die zweite Aufgabe viel zu langsam, wenn überhaupt, vorangeht. Wie kann das sein?

Städte sind die massivste Entwicklung der Menschheit. Noch im Mittelalter lebten in Europa schätzungsweise 95 Prozent der Weltbevölkerung in Dörfern. Diese »vorstädtische Dörfer« konnten auch ohne der Wirtschaft der Städten noch gut leben. Heute beträgt der Anteil der Weltbevölkerung der in den Urwäldern oder in solchen kleinen vorstädtischen Dörfern lebt, höchstens noch ein Viertel. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wohnt in urbanen Siedlungen, deren Bewohner und Organisationen ihr naturzerstörendes Verhalten viel zu langsam ändern. Der Rest lebt in modernen Dörfern, die vollständig von der städtischen Wirtschaft abhängig sind. Somit lebt drei Viertel der Menschheit in der von der städtischen Wirtschaft abhängigen Siedlungen. Tendenz weiter steigend.

Geld, das kranke Nervensystem der Städte

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen der Wirtschaftsform dieser vorstädtischen Dörfern und der von Städten? Es ist das Geldsystem. Während die vorstädtische Dörfer noch weitgehend ohne Geld auskommen, können die Städte und die post-urbane Gesellschaft das nicht.

Die Empfehlung in meinem neulich erschienen Buch „Natur als Wertstandard“ zielt nicht darauf ab, das Geld abzuschaffen. Das würde die Städte und die moderne Gelddörfer, also drei Viertel der Weltbevölkerung, in katastrophale Schwierigkeiten bringen. Aber wir als Menschheit müssen und können jedoch den Charakter des heutigen Geldsystems rasch verändern. Dies kann durch drei relativ einfache Schritte erreicht werden. Wenn wir das nicht tun, werden die Städte und Gelddörfer wie ein Krebsgeschwür ihre eigene Lebensgrundlage zerstören.

Ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Geldwesen, Stadt und Natur ist das Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Dort wurde im Jahr 1609 faktisch die erste Zentralbank Europas gegründet, die das Geldsystem änderte. Dies hatte bereits damals negative Folgen für den Waldbestand bis nach Riga und Bayern.

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Die (letzten) drei Bäume, 1643. Rembrandt van Rijn, Rijksmuseum Amsterdam.

Diese durch Geld getragene Naturzerstörung hat sich im Laufe der Zeit verstärkt. Diese Entwicklung wurde und wird durch zwei Merkmale unseres heutigen Geldsystems vorangetrieben, die immer stärker werden. Es ist allgemein bekannt, dass Geld ein Zwischentauschmittel ist, um eine Ware oder eine Dienstleistung zu erwerben. Die folgenden Aspekte des Geldsystems sind so alles durchdringend, dass sie leicht aus dem Bewusstsein unserer Gesellschaft verschwinden.

1) Das Geldsystem hat sich zu einer mathematischen Echokammer entwickelt, die völlig von der Natur entkoppelt ist.

2) Die Verwendung von Geld bedeutet ein systemisches von sich Wegschieben der Verantwortung dafür, wie die gekauften Güter oder Dienstleistungen entstanden sind.

Diese beiden Eigenschaften stellen vermutlich die größten Bedrohungen für die Bewohnbarkeit der Erde dar. Die Finanzwelt befasst sich zwar formell mit den aktuellen Risiken,  jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Gewinnmargen, die in Geld berechnet werden. Die direkte und primäre eigene Verantwortung für die Lösung der lebensbedrohlichen Probleme, vor denen die Menschheit heute steht, wird dabei jedoch kaum oder gar nicht berücksichtigt.

Das Geldsystem soll sich der Natur unterordnen und nicht umgekehrt

Ich schlage drei relativ einfache erste Maßnahmen vor, die dafür sorgen können, dass sich das Geldsystem der Natur unterordnet und nicht umgekehrt. Erstens sollen jährlich handelbare Zertifikate für die Fläche der weltweit noch vorhandenen intakten Naturgebiete geschaffen werden. Begonnen werden soll mit bestehenden Naturschutzgebieten sowie der Fläche von Urwäldern, Mangroven und Mooren. Pro vier Quadratkilometer unberührter Naturfläche gibt es ein Zertifikat. Zweitens soll das bestehende Geldsystem mit diesem System der Naturzertifikate verknüpft werden. Die Geschäftsbanken müssten dann nicht nur Geld für ihre Mindestreserve bei den Zentralbanken hinterlegen, sondern auch diese Zertifikate. Wenn z.B. die globale Waldfläche wie bisher weiter abnimmt, wird Geld somit teurer. Nimmt sie hingegen zu, kann die Geldmenge und damit die Wirtschaft wachsen.

Diese erste beiden Maßnahmen werden jedoch nur gelingen, wenn die Finanzwelt selbst auch direkt für den Schutz noch intakter Naturräume wie Urwälder, Moore und Mangroven sowie für die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften in deren Umgebung sorgt. Dieser Schutz muss so umfassend sein, dass eine Zerstörung nicht mehr attraktiv ist.

Die Finanzierung dieser Fürsorge erfolgt durch die dritte Maßnahme, die Einführung einer zweckgebundenen Finanztransaktionsabgabe. Die Europäische Kommission hat hierzu bereits in der Vergangenheit detaillierte Modelle entwickelt.

Selbstverständlich wird die Finanzwelt sich mit aller Macht gegen die Einführung dieser drei Maßnahmen wehren. Welche Kräfte können sich mit ihrer Macht messen und das Ganze durchsetzen?

Die Antwort mag überraschen. Denn nach der geldgläubigen Gesellschaft, die etwa drei Viertel der Menschheit betrifft, sind nicht die politischen Parteien, sondern die Religionen die größten Organisationen der Weltbevölkerung.

Tiddens.Größe_der_Religionen
Größe der Religionszugehörigkeiten

Die Gläubigen dieser Religionen sollten sich auf ihre Wurzeln besinnen.
So haben sich die abrahamitischen Religionen – also Christentum, Islam und Judentum – bereits in ihren alten Schriften ausführlich gegen den „Wucher“, also den Missbrauch von Geldmacht, ausgesprochen. In unserer Zeit ist es deshalb notwendig, dass sie Geld auch aus weiteren ethischen Perspektiven betrachten. Es geht jetzt um die moralische Pflicht, die schlimmste Form des „Wuchers“ zu verhindern: die Zerstörung der Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen!

Tiddens.Borkenkaefer
Borkenkäfer

Die Religionen können und müssen sich entsprechend erneuern und weiterentwickeln. Sie können dazu beitragen, dass eine neue Geldordnung entsteht. Wenn wir die Bewohnbarkeit der Erde für uns als Menschheit erhalten wollen, muss der Natur als Wertstandard in unserem Geldsystem eingeführt werden. Dabei muss sich der Wert des Geldes dem Wert der Natur unterordnen und nicht umgekehrt.


TiddensNatur

Harris Tiddens

13 Jahre lang – bis 2014 – war der Niederländer Harris Tiddens der Motor des Blankeneser Zukunftsforums. Als Geschäftsführer des Forums hat er mit seiner Eloquenz, seinem Wissen und seiner Begeisterungsfähigkeit viele Menschen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen unserer Erde sensibilisiert.

Interview mit dem Autor

Bucherscheinung deutsche Ausgabe am 5.12.2024

Bucherscheinung englische Ausgabe (Open Access) am 5.6.2025


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