100 Tage neu im Amt als Leiter im Schilling-Stift
Für Andreas Sauerbier sind die berühmten ersten hundert Tage in der neuen Leitungsposition im Schilling-Stift nahezu um. Mit Vera Klischan hat er Bilanz gezogen in Zeiten von Fachkräftemangel, harten Tarifverhandlungen und Corona.
Lieber Herr Sauerbier, seit Jahresanfang sind Sie zwar nicht neu im Stift, aber neu in Ihrem Amt. Noch sind die berühmten 100 Tage nicht um. Wie geht es Ihnen?
Mir geht es sehr gut. Ich bin stolz auf das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird und ich freue mich auf die Herausforderungen. Es fing aufregend an. Zwar bin ich lange eingearbeitet worden, habe aber dann bemerkt, was alles neu dazukommt. Schritt für Schritt habe ich mich in neue Bereiche eingearbeitet. Jetzt läuft es gut. Die Stimmung im Haus ist großartig. Der Empfang am 2. Januar – am ersten Arbeitstag – war sehr herzlich. Wir arbeiten hier mit Leichtigkeit und Freude. Der christliche Gedanke, der dieses Haus prägt, wird von fast allen mitgetragen. Ich versuche die Mitarbeitenden mitzunehmen, indem ich sie über Aufgaben im Leitungsbereich informiere, auch über finanzielle Belange des Hauses, ohne genaue Zahlen zu nennen. Wir besprechen gemeinsam, wo die Schwierigkeiten liegen, aber auch, was gut läuft. Die Information an die Mitarbeitenden ist wichtig, um Dinge im Haus mitzutragen,
Was ist neu an Ihrer jetzigen Aufgabe?
Alles! Es ist ein völlig anderer Aufgabenbereich als früher die Pflegedienstleitung. Ich trage jetzt die Verantwortung für das ganze Haus. Ich bin jetzt verantwortlich für die Zahlen, früher für die Abläufe im Haus.
Corona ist zwar nicht vorbei, aber deutlich in den Hintergrund getreten. Macht sich das auch hier im Haus bemerkbar?
Ja sehr! Der erste März war der erste Tag ohne Maske. Drei Jahre schwere körperliche Arbeit mit Maske sind zu Ende gegangen. Ich habe viele Reaktionen großer Freude aus dem Mitarbeiterkreis bekommen. Zur Zeit gibt es keine Corona Auflagen, keine Tests mehr, keine Masken und wie vor Corona offene Türen. Wir haben keine Infektion im Haus.
Aber auch während des harten Lockdowns haben wir am Lebensende der Bewohner Besuch zugelassen. Unsere Philosophie ist es, Bewohner in der Sterbephase hier im Haus zu begleiten und nicht allein in einem Krankenhaus zu lassen. Wir tun alles für einen würdigen Sterbeprozess hier im Haus.
Welches sind nach Corona die größten Probleme? Der Personalmangel?
Ja, ganz klar der Fachkräftemangel! Wir suchen intensiv über viele Kanäle. Ein Anwerbungsprojekt für Fachkräfte hat zu keiner Neueinstellung geführt. Dafür gibt es viele Gründe. Die Bezahlung allein ist es nicht. Die Pflege ist ein körperlich schwerer Beruf, der durch den Schichtdienst nicht sehr familienfreundlich ist. Auch psychisch verlangt er den Mitarbeitenden viel ab. Dazu kommt, dass in der jungen Generation fast niemand mehr solche Pflegeberufe ergreifen möchte. Früher war es gar kein Problem junge Menschen in die Ausbildung zu bekommen. Leider haben wir auch kaum noch Auszubildende, weil sich niemand mehr für diesen Beruf bewirbt. Heute bekommen wir nur noch Bewerbungen von Menschen aus anderen Ländern, die zum Teil wenig oder keine Deutschkenntnisse besitzen. Deswegen bieten wir hier Deutschkurse an. In vielen Ländern ist die Pflege der alten Angehörigen viel tiefer in der Kultur verankert.
Wie steht es um die Finanzierung eines großen Hauses?
Damit sich das Haus trägt, benötigen wir 121 Bewohner, die wir in der Regel haben. Die Hermann und Lilly Schilling-Stiftung ist Trägerin des Hauses. Wir sind Mitglied in der Diakonie. Der Freundeskreis finanziert Angebote, die wir sonst nicht machen könnten, z.B. die Gartengestaltung und die wöchentlichen Konzerte im Haus.
Durch unser Wohngruppenkonzept sind die Wege länger und wir benötigen mehr Personal. Das wurde in den Stellenvorgaben der Pflegekassen nicht berücksichtigt. Nur weil die Schilling Stiftung gemeinnützig ist und nicht gewinnorientiert arbeitet, können wir etwas mehr Personal beschäftigen als die Kassen vorgeben.
Ihre Aufgabe hier im Haus ist schwer. Wie motivieren Sie sich selbst und Ihre Mitarbeitenden immer wieder? Gibt es Supervision?
Supervision gibt es nicht. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass sie sich eher negativ auswirkt, weil verborgene Konflikte auf den Tisch kommen und an Tragweite zunehmen. Die Motivation liegt im gemeinsamen Ziel, die Bewohner gut zu versorgen. Ein Lächeln der Dankbarkeit von einzelnen Bewohnern und Bewohnerinnen kompensiert die schwere Arbeit. Auch ein positives, wertschätzendes Feedback der Pflegedienstleitung durch Herrn Anders-Tank und durch mich hilft den Mitarbeitenden bei der herausfordernden Aufgabe.
Haben Sie den Eindruck, dass durch Berufstätigkeit und Krisenzeiten mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten der familiäre Einsatz für die älteren Angehörigen geringer wird?
Den Eindruck habe ich nicht. Es gibt mehr oder weniger engagierte Angehörige. Vor der Entscheidung, die Mutter oder den Vater in ein Pflegeheim zu geben, steht meist ein langer und schwieriger Prozess. Wir erleben sehr viele verständige Angehörige, die uns unterstützen und im positiven Sinn kontrollieren, was auch wichtig ist. Die meisten Angehörige haben ein gutes Gefühl ihre Eltern hier zu haben und die große Mehrheit ist sehr engagiert.
Welches sind die besonderen Höhepunkte im Haus, gemeinsame Feste oder Rituale?
Für unsere Bewohner sind das die Feierlichkeiten im Jahr, das Frühlings-, Sommer- und Herbstfest, die Weihnachtsfeier, der Advent. Ganz besonders wichtig ist die Seelsorge durch Frau Engler, auch die sonntäglichen Gottesdienste und Andachten sind großartig. Gott spielt für viele im Alter eine größere Rolle als im aktiven Leben. Wir sehen Bewohner, die zu Beginn den Gottesdienst ablehnen, aber dann gern daran teilnehmen.
Welches sind Ihre Wünsche, Visionen für die Zukunft? Was sollte sich im Haus noch mehr entwickeln?
Das freundliche, fröhliche und entspannte Miteinander in der Arbeit hier im Haus, das jetzt herrscht, möchte ich weiterentwickeln. Die Professionalität und das Vertrauen sollen noch mehr gestärkt werden. In dieser Woche hatten wir ein Mitarbeiteressen. Da war für mich der Zuspruch für meine neue Leitungsrolle sehr spürbar. Verständnis aber mit Grenzen. Das möchte ich dem Personal im Haus vermitteln. Diese Grenze wird sehr gut verstanden und akzeptiert.
Ein Hauptthema ist aktuell für mich: Die Pflegesatzverhandlung mit der Sozialbehörde und einem Vertreter der Pflegekasse. Dafür müssen wir sehr viel Zahlenwerk liefern. Bei den Tarifverhandlungen müssen wir unsere gesamten betriebswirtschaftlichen Zahlen offenlegen und nachweisen, wieviel mehr wir im kommenden Jahr benötigen. Seit 20 Jahren erlebe ich dann am Ende einer Verhandlung, dass von dem benötigten Geld nur Hälfte genehmigt wird und man als Einrichtung immer schauen muss, wo noch gespart werden kann. Das führte auf Dauer zum überall zu hörenden Pflegenotstand, der ohne grundlegende Verbesserung der Finanzierung auch nicht enden wird.
Lieber Herr Sauerbier, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit. Es ist deutlich geworden, wo die Kraftquellen Ihrer Arbeit hier im Haus liegen, aber auch wie schwierig es ist, eine Institution wie das Schilling-Stift durch diese Zeiten zu navigieren. Dafür wünsche ich Ihnen weiterhin den guten Zusammenhalt Ihrer „Mannschaft“, um allen Herausforderungen gemeinsam zu begegnen.
Eine kleine Bildergalerie des Hauses