Viktoriia Marchenko – von Charkiw nach Blankenese 

Viktoria Marchenko ist am 10. März 2022 mit ihrer damals zweijährigen Tochter aus der Ukraine nach Hamburg gekommen. Ein denkwürdiger Tag, der sie in Sicherheit brachte und den sie seither jedes Jahr feiert. Vera Klischan hat sich mit Viktoriia über ihr neues Leben in Deutschland unterhalten.

Seit wann leben Sie in Deutschland?

Viktoriia Marchenko ©blankenese.de

Ich bin mit meiner kleinen Tochter am 10.3. 2022 in Hamburg angekommen. Wir wohnten in Charkiw, 20 Autominuten von der russischen Grenze entfernt. Jedes Jahr feiern wir diesen Tag in Planten und Blomen und möchten eine schöne Tradition daraus machen, auch für meine Tochter. Wir haben zuerst in einem Hotel in der Nähe von Planten und Blomen gelebt. Dort konnten wir 10 Tage bleiben. Um eine Unterkunft zu finden, habe ich Leute angeschrieben, die ich kenne.  

Daraufhin bekam ich einen Brief mit einem Angebot aus Süddeutschland, dort in einem Hotel zu arbeiten. Ich beschloss das Angebot anzunehmen und wollte den letzten Tag in Blankenese verbringen, weil es dort so schön ist. Im Bus habe ich eine Frau mit Kind kennengelernt. Gemeinsam sind wir dann zum Spielplatz gegangen. Dort hat mich eine Frau ukrainisch singen gehört. Sie hat mich angesprochen und mir ein Wohnungsangebot gemacht. Ich bin mit der Frau zu dieser Wohnung gefahren. Die Vermieterin war sehr nett, die Wohnung schön. Als ich danach an der Elbe spazieren ging, kamen mir Zweifel. Die Frau raucht sehr stark. Ich hatte zwar zugesagt, aber mit meinem Kind wollte und konnte ich das nicht. Die nette Dame vom Spielplatz hat einen Tag später angerufen und eine andere Familie gefunden. Sechs Monate durften wir bei dieser Familie leben. Jetzt wohnen wir in einer Wohnung in Rissen. 

Wie sind Sie hier aufgenommen worden?

Ich hatte viel Glück und bekam sehr viel Hilfe, aber das kommt nicht vom Himmel. Man muss auch selbst etwas tun. Man muss an die Tür klopfen und dann öffnet sie sich. Ich habe an Türen geklopft. Ich spreche englisch, deswegen war die Verständigung kein Problem, aber ich wollte schnell deutsch sprechen lernen, weil ich hier in Deutschland lebe. Das „Bunte Haus“ in Blankenese war und ist sehr wichtig für mich. Hier konnte ich erste Schritte der Integration machen. Ehrenamtliche haben mir Deutschunterricht gegeben. Sie haben mir geholfen einen Kitaplatz für meine Tochter zu finden. Ich gehe immer noch jeden Samstag zum Frühstück ins Bunte Haus.

Was waren die Gründe für Ihre Ausreise nach Deutschland?

Das war natürlich der Ausbruch des Krieges im Februar 2022. Es war keine leichte Entscheidung für mich zu gehen. Zunächst blieb mein Mann in der Ukraine. Unsere Ausreise war zunächst gar nicht geplant. Verwandte haben uns gefragt, ob wir helfen können, eine schwangere Frau zur Grenze bringen. Plötzlich benötigte uns diese Frau nicht mehr, da sie einen Bus genommen hatte. Wir saßen schon im Auto und haben eine Münze geworfen. Ausreise oder bleiben? Die Münze hat entschieden!  An der Grenze sind meine Tochter und ich in einen Bus nach Polen gestiegen. Dort hat mich meine Freundin aus Berlin angerufen und gesagt: „Du musst kommen, aber nicht nach Berlin.“ Elf Stunden sind wir mit dem Bus von Polen nach Hamburg gefahren. Glücklicherweise ist auch mein Mann mittlerweile in Hamburg. Er war erkrankt und durfte mit einem Attest ausreisen. Er ist sogar hier in Hamburg mittlerweile operiert wurden durch die Hilfe von Menschen hier vor Ort. Auch meine Mutter und Großmutter leben jetzt in Hamburg in einer Wohnung in Iserbrook. Selbst mein Hund ist jetzt hier bei uns.

Wie war das für Ihre Tochter?

Schwierig! Einem so kleinen Kind konnte ich vor zwei Jahren nicht erklären, warum wir unsere Heimat verlassen.  Das erste Jahr war schwer. Sie hat ein Jahr nicht gesprochen. Jetzt hat sie Freundinnen gefunden und spricht gut deutsch. 

Haben Sie schon Arbeit gefunden?

In der Ukraine habe ich als Buchhalterin gearbeitet. Zur Zeit mache ich einen Sprachkurs und arbeite drei Stunden täglich in der großen Mediafirma Weischer. Nach dem Kurs möchte ich wieder in der Buchhaltung arbeiten.

Was gefällt Ihnen hier besonders gut?

Viele Dinge! Die Menschen sind so freundlich. Mir fallen viele gute Sachen auf, z.B. die Mülltrennung. Viele fahren mit dem Fahrrad, um die Umwelt zu schonen. Die Menschen hier investieren in „glücklich sein“. Sie gehen in den Wald, in die Natur. Ich sehe viele Väter auf dem Spielplatz. Das ist in der Ukraine nicht so. Hier herrscht große gegenseitige Toleranz. In der Ukraine muss ich viel mehr aufpassen.

Gibt es etwas, das Sie vermissen?

Ich vermisse meine Freunde, das Reisen und Wandern. Hier gibt es sehr viele Regeln. In der Ukraine ist vieles flexibler, unkomplizierter. Man darf zum Bespiel überall zelten. Auch Termine zu machen ist viel unkomplizierter.  

Was wünschen Sie sich von uns?

Ich möchte jeden Tag genießen. Viel Geld zu haben, ist mir nicht so wichtig. Die Menschen hier lächeln zu sehen, ist sehr schön für mich. Das macht mir gute Laune.

Möchten Sie zurück in die Ukraine?

Zuerst wollte ich zurück. Vor zwei Jahren hatten wir jeden Tag viele Sorgen und jeder Schritt schien uns sehr schwer zu fallen. Jetzt ist die Zeit vergangen und wir haben nur noch angenehme Momente und Gefühle in Erinnerung. All die schlimmen Dinge sind vergessen. Wir sind Ihnen und all den Menschen, die ihr Herz, ihre Seele und ihr Zuhause für Menschen wie uns geöffnet haben, sehr dankbar. 

Ich weiß nicht, was in der Ukraine sein wird. Vielleicht ist es eine andere Ukraine als die, die wir verlassen haben. Ich weiß es nicht. Ich muss optimistisch sein und kann nicht jeden Tag weinen.  Viele haben Probleme. Ich möchte stark sein und Vorbild für andere. Ich gehe kleine Schritte jeden Tag und danke für all die Hilfe, die ich hier bekomme. Ich bin inspiriert von Hamburg und den Menschen, die hier leben, viele Menschen sind ein Vorbild für mich.

Liebe Viktoriia, ich danke Ihnen sehr für die Einblicke in eine schwere Zeit für Sie und Ihre Familie. Es sind die hilfreichen Menschen hier vor Ort, die Ihnen das Einleben erleichtert haben, aber vor allem ist es Ihre Stärke, Ihre Offenheit und Ihre Bereitschaft, hier Chancen zu ergreifen, Freundschaften zu schließen, die Sprache zu erlernen und für Sie und Ihre Familie das Allerbeste aus der schrecklichen Lage in Ihrem Heimatland zu machen.


Erst geflüchtet, jetzt geschätzt.
| Viktoriia Marchenko | Marjan T. |

eine Plakataktion des Runden Tisches Blankenese

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Andreas F am 18.06.2024 um 11:31

    Ein wunderbarer Artikel über einen Menschen, der sich offenbar gut eingelebt hat. Ich verstehe, daß es mit hilfreichen Menschen aus dem Bunten Haus leichter geht, aber der Impuls muss von dem kommen, den es angeht. Das ist bei Viktoriia der Fall. Gut so.

  2. Veröffentlicht von Pascal Mathéus am 25.06.2024 um 21:13

    Vielen Dank für diesen sehr interessanten Einblick! Eine bewundernswerte Frau.

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