Bürgerinitiative German Zero

GermanZero ist ein im Herbst 2019 gegründeter, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Hamburg. Diese junge Bürgerinitiative GermanZero will die Bundesrepublik bis 2035 klimaneutral umbauen – und ist mit diesem ambitionierten Anliegen binnen weniger Monate zu einer ernstzunehmenden Kraft gewachsen. GermanZero ist überparteilich und unabhängig. Eine hauptamtliche Geschäftsstelle ermöglicht das ehrenamtliche Engagement aller Menschen, die sich dafür einsetzen wollen, dass sich Deutschland an sein Versprechen hält – das Versprechen, die Erdüberhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen. Ihr Gründer Heinrich Strößenreuther avancierte unterwegs zum Zugpferd, Aushängeschild und gelegentlichem Prügelknaben der Bewegung.
Dr. Kai Matthiesen, Metaplan-Partner und in Blankenese ehrenamtlicher Chef des Zukunftsforums, hat ein Interview mit Heinrich Strößenreuther geführt. Beide sprechen über den unausweichlichen Konflikt zwischen Basisdemokratie und Führungsnotwendigkeit.
Das Gespräch durften wir von der Internetseite von Metaplan übernehmen: Quelle.

Das gemeinsame Ziel

Heinrich Strößenreuther (HS): Mit GermanZero wollen wir der Politik helfen, ihr 1,5 Grad-Versprechen zu erfüllen und Deutschland bis 2035 klimaneutral umzubauen. Die nötige Technologie ist erfunden und erprobt, es bedarf „nur“ eines Rearrangierens, denn auch das gesellschaftliche Bewusstsein trägt. So sind laut Umfragen 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung „klimabesorgt“. Es fehlt lediglich der zündende Funke, um aus dieser Besorgnis eine politische Entscheidung zu formen.

Letztes Jahr hat GermanZero zusammen mit der Hilfe von Metaplan in nicht einmal vier Wochen Deutschlands ersten Klimaplan erarbeitet. Jetzt schreiben wir dazu das weltweit erste 1,5-Grad-Gesetz. Erfahrene Juristen sprechen von ca. 153 ministeriellen Abteilungen à drei Personen, die damit beschäftigt wären bzw. von etwa 2.000 Seiten wasserdicht formulierter Paragraphen. Dieses 1,5 Grad-Gesetz könnte 194 weiteren Staaten als Blaupause zur Erreichung der Pariser Klimaziele – und darüber hinaus – dienen.

Für unsere Kinder und Kindeskinder mobilisieren wir Tausende von Erwachsenen und Jugendlichen rund um die Schicksalswahl 2021: Sie sollen unsere Kandidaten und Abgeordnete für unser 1,5-Grad-Gesetz gewinnen, um es dann 2022 mit einer 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat einzuführen. Wir sind überzeugt, dass das, auch wenn es möglicherweise naiv oder größenwahnsinnig scheint, mit vereinten Kräften zu schaffen ist.

Kai Matthiesen (KM): Der Grat zwischen Weitsicht und Größenwahn ist ein sehr schmaler. Gelingt das Vorhaben, giltst Du als ein Visionär, der frühzeitig Potenziale erkannte. Geht es schief, attestiert man Dir im Rückblick Größenwahn. Bei GermanZero steht ihr am Scheideweg.

Helden wider Willen

HS: Meine bisherigen Erfahrungen stammen aus unterschiedlichen Umfeldern: So habe ich eine Studentenbewegung mit aufgebaut, war unter anderem Greenpeace-Campaigner, Manager im Konzern, Change Manager und Initiator einer erfolgreichen, inzwischen deutschlandweiten „Volksentscheid Fahrrad“-Bewegung.  Ich weiß, dass es manchmal eine Autorität braucht, die beherzt durchgreift, auch wenn mir das nicht immer gefällt. Bei GermanZero war ich in den ersten Monaten als Initiator und Gesicht nach außen diese Autorität. In unserem Führungsteam leben wir das von Cordula Nußbaum geprägte Motto „Lieber unperfekt begonnen, als perfekt gezögert“. Ich selbst habe deshalb im Zweifel lieber eine falsche als keine Entscheidung getroffen.

KM: Ihr seid binnen weniger Monate zu einer Organisation mit fast 20 Festangestellten und über 200 ehrenamtlich Aktiven gewachsen. Darüber habt ihr auch die Schmerzen kennengelernt, die nahezu unweigerlich mit schnellem Wachstum einhergehen. In dieser Phase fehlt es schlicht an Strukturen, die für Orientierung sorgen könnten. Eure Ziele sind ja ebenso ehrgeizig wie einzigartig, die Muster eurer Organisation sind es nicht. In dieser frühen Phase, in der eine Organisation noch nicht über allseits akzeptierte Regeln verfügt, braucht sie fast zwangsläufig Führungspersonen, die mutig genug sind, sich zu exponieren und die Pfeile auf sich zu ziehen.

Wachstumsschmerzen

Je schneller die Organisation wächst, umso größer ist der Vertrauensvorschuss, den ihre Führungskräfte brauchen. Tatsächlich aber wächst statt Zuversicht („Die machen das schon“) häufig das Misstrauen („Die machen, was sie wollen“). Bis zum Vorwurf, die Führungsriege sei abgehoben und habe „den Kontakt zur Basis verloren“, ist es da nicht mehr weit. Wer sich als Entscheiderin anbietet, hat also quasi automatisch verloren, weil ihr die Konsequenzen der unausweichlichen Entscheidungen zugerechnet werden. Gleichzeitig ist es ziemlich schwer, diese Rolle, wenn man sie denn einmal übernommen hat, wieder wegzuorganisieren. Denn für die Organisation und ihre Mitglieder ist es sehr funktional, wenn eine Einzelne die Entscheidungen trifft.

HS: Bei GermanZero war von Anfang an klar, dass wir hochprofessionelles Top-down- und Bottom-up-Management kombinieren müssen. Wir wollen zermürbende Diskussionen, wie man sie von Elternabenden oder Vereinsvollversammlungen kennt, möglichst vermeiden. Mit wenigen Leuten eine professionelle Support-Organisation aufzubauen, die es Zehntausenden in regionalen Bottom-up-Prozessen ermöglicht, fürs Klima wirksam zu werden, ist ein anspruchsvolles Unterfangen.

Schon beim Volksentscheid Fahrrad war ich überrascht, wie viele Menschen sich an einer solchen Initiative beteiligen wollen, die alle vielfältige Erfahrungen, aber oftmals wenig organisationale und Leitungserfahrung einbringen. Ob dieser Unkenntnis wird viel politische Energie vergeudet. Dasselbe Phänomen haben wir früher bei der Piratenpartei beobachtet; aktuell erleben wir diese „Wachstumsschmerzen“ bei „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“.

Was NGO’S und GMBH’S unterscheidet

KM: Nichtregierungsorganisationen mit einem hohen Anteil an ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen sind im Vergleich zu Unternehmen unter ganz anderen Voraussetzungen aktiv. Wer als Angestellter in einem Unternehmen einsteigt, unterwirft sich gegen Bezahlung den Regeln der Organisation. Das ist der Deal. Kein Pförtner eines Unternehmens würde morgens den Vorstandsvorsitzenden aufhalten, um ihm mal ehrlich seine Meinung zur Unternehmensstrategie zu geigen. Bei ehrenamtlichen Organisationen hingegen geschieht dies im übertragenen Sinne ständig. Ehrenamtliche engagieren sich nach ihren eigenen Regeln, nach ihrem eigenen Dafürhalten und häufig in der Annahme, im Gegenzug für ihr Engagement auf allen Ebenen mitreden zu dürfen. Denn hier fehlt dieser „Folgsamkeit gegen Gehaltsscheck“- Vertrag.

Gleichzeitig fehlen den meisten Ehrenamtlichen im Alltag schlicht Zeit, Energie, organisationale Erfahrung und Können, um weitreichende Entscheidungen vorzubereiten, durchdringen und vermitteln zu können – und trotzdem wollen sie beteiligt werden. Wer wie du viel in das Projekt investiert, genießt naturgemäß einen größeren Überblick. Das wiederum führt dazu, dass viele Anliegen an einen persönlich herangetragen werden.

HS: Typisch für solche Prozesse ist in der Tat, dass strukturelle Defizite in personelle Konflikte umgedeutet und Einzelne für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden. Als Teil eines Führungsteams einer NGO – in unserem Fall eines exponentiell wachsenden politischen Start-ups – sind die Rollen häufig wechselnd. Das ist wie bei einem Feuerwehrmann, der bei Flächenbränden entscheiden muss, welchen Brandherd er zuerst löschen lässt, weil nicht alle gleichzeitig angegangen werden können.

KM: Zwischen ehrenamtlichen und kommerziellen Organisationen gibt es noch einen weiteren wichtigen Unterschied: Wer die Aktie eines Unternehmens kauft, will vermutlich irgendwann wissen, wie die Firma eigentlich mit seinem Geld wirtschaftet. Wer hingegen einer Organisation spendet, erwartet umgehend Gewissheit, dass sein Beitrag hundertprozentig dem angegebenen Zweck zugutekommt. „Maximale Transparenz“ lautet die populäre Forderung.

Auch eine NGO wie GermanZero aber kann nicht als Glashaus mit lauter Nackten existieren, sondern braucht wohlverhüllende Kleidung und ein paar dunkle Ecken, um wirksam sein zu können. Wenn sie sich nicht in Rund-um-die-Uhr-Kommunikation verschleißen will, muss sie die überschießende Forderung nach absoluter Transparenz daher strikt zurückweisen. Denn in Organisationen geht es um Handeln, nicht um Reden. Den basisdemokratischen Zahn, dass in einer Graswurzelbewegung jeder überall Auskunft und Rechtfertigung verlangen dürfe, muss man der Organisation daher frühestmöglich ziehen.

HS: Da kann ich dir nur zustimmen!

Vertrauen im Dispo

KM: In alteingesessenen Unternehmen genießen Managerinnen häufig einen Vertrauensvorschuss, weil sie bereits lange in Verantwortung stehen und bewiesen haben, dass sie durch Krisen zu führen vermögen. Letztlich ist ihnen ja das Unternehmen, das Kapital, anvertraut worden, das sie mit ihren Entscheidungen riskieren. Und meist folgen auf kritischere Phasen ja auch ruhigere, in denen sich die Strukturen nachziehen und Prozesse adjustieren lassen.

Junge Purpose-Driven-Organisations wie German Zero haben weder diese Zeit noch das Vertrauen. Aus Sicht der Mitstreiter ist es ja ihr aller Anliegen, also das gemeinsame „Kapital“, das durch vermeintliche Fehlentscheidungen Einzelner gefährdet würde. Der Vertrauensvorschuss, wenn es denn überhaupt einen gibt, verbraucht sich da binnen kürzester Zeit. Für jemanden wie Heinrich Strößenreuther ist das ein klassisches Dilemma.

Wer eine Organisation klug managt, verfügt über zahlreiche Handlungsäquivalente, die aber viele nicht auf dem Schirm haben. Damit verengt sich die Diskussion dann zwangsläufig auf Personen. Für Organisationen kann das nützlich sein, weil (auch vorübergehend ungeliebte) Heldinnen an der Spitze helfen, die Komplexität der Entscheidungswege einzudampfen und Unsicherheit zu absorbieren. Das Dilemma der tragischen Heldin an der Spitze lässt sich eigentlich nur auflösen, indem man ihr weitere Führungskräfte zur Seite stellt, die einen Teil der Verantwortung – und damit auch der Schuldzuweisungen – abfedern.

HS: Tatsächlich wurde mir im Positiven wie im Negativen bislang sehr vieles persönlich zugeschrieben. Jetzt organisieren wir eine Art Managementteam für uns. Damit hat unsere Organisation erstmals nicht mehr nur einen Helden an der Spitze, sondern ein Leitungsteam aus mehreren kompetenten Menschen, die zusammen die Kampagne für das 1.5-Grad-Gesetz aufbauen und mit Kritik auch gemeinsam umgehen.


AUTOREN

Kai Matthiesen
ist geschäftsführender Partner bei Metaplan und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen.

Heinrich Strößenreuther
ist ehemaliger Greenpeace-Campaigner, Projektmanager der Deutschen Bahn, Buchautor, Gründungsberater, „Deutschlands bekanntester Fahrrad-Aktivist“ (DIE ZEIT) und Initiator des Volksbegehrens für ein fahrradfreundliches Berlin, das 2018 erfolgreich in ein Mobilitätsgesetz überführt wurde.

Das Engagement für GermanZero ist Teil des neuen „Social Impact & Education“-Bereiches bei Metaplan. Wer die Organisation ebenfalls unterstützen und Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität voranbringen will, kann dies durch Spenden oder ehrenamtliches Engagement tun.

Mehr unter www.germanzero.de

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Igor Plahuta am 24.09.2023 um 6:43

    Tolles Kurzgespräch. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, wie man den angesprochenen Spagat, zwischen Mitwirkung und Wirkung bezüglich der Mitglieder auflöst. Einem gemeinnützigen Verein schreibt man eher zu, vielen Mitgliedern die Tür zu öffnen. Gleichzeitig schafft man mit der Mitgliederversammlung das Problem der vielfältigen Einflussnahme, was zur Lähmung führen kann. Bei German Zero findet man keine Angaben zur Mitgliederzahl, in Wikipedia stehen 7 Mitglieder. Ist es gemeinnützig, wenn man einerseits steuerliche Begünstigung erhält aber die Gemeinschaft (Mitglieder) im Verein begrenzt?

    • Veröffentlicht von Kai Matthiesen am 25.09.2023 um 20:57

      Die Frage finde ich sehr gerechtfertigt.
      German Zero hat sich damals entschieden ähnlich wie Greenpeace eine kleine Anzahl stimmberechtigter Mitglieder zu haben, um die Führungsfähigkeit zu erhalten.
      Die Gemeinnützigkeit eines Vereins hängt nicht von der inneren Organisation ab, sondern von seinen nach Gesetz förderungswürdigen Zwecken.

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